Ausflug nach Tunis.
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sein Gedächtnis aufnehmen zu wollen, und sah infolgedessen gar nichts. Der
Bahnzug nach Tunis entführte uns diesem regen Treiben und brachte uns in einer
halben Stunde nach unserm Bestimmungsorte, wo wir neuerdings von lärmenden
Orientalen begrüßt wurden. Die nun folgende Wagenfahrt um und teilweise
durch die auf angeschwemmtem Boden stehende Stadt bot des Interessanten genug;
es war Nacht geworden, aber man konnte doch einzelne Bilder fremdländischen
Lebens erhaschen. Zu ebener Erde, in den gegen die Straße offenen Räumen
mancher Häuser hockten bei schwacher Beleuchtung die Insassen, von ihren weiten,
weißen Mänteln umwallt, längs der Wände in träger Ruhe herum, andere schlichen
langsam mit dem durch die Pautofsel erzeugten, unsichern Gange auf den dunkeln
Straßen an den Mauern dahin. Mehr erlaubte uns die Finsternis nicht zu unter¬
scheiden , nur die furchtbaren Stöße und bedenklichen Verschiebungen aus der
horizontalen Lage, welche wir in unserm an und für sich ausgezeichneten Wagen
erlitten, verrieten uns den sehr primitiven Zustand des mit Löchern reich bedachten
Weges.
Bei der Ankunft hatten wir infolge der vorgerückten Stunde einen nur sehr
mangelhaften Begriff der uns umgebenden neuen Welt erhalten; desto über¬
raschender, alles Erwarten übersteigend war das Bild, welches sich uns den nächsten
Morgen beim ersten Hinaustreten aus dem Palaste bot. Es war ein so seltsamer,
durch nichts an die Heimat und an alles bisher Gesehene erinnernder Eindruck, daß
man zu träumen wähnen konnte. Über den blendendweißen Mauern und Häusern
mit ihren durchgängig flachen Dächern und ihren, wenn auf die Gasse gehend, stets
vergitterten Fenstern wölbte sich ein dunkelblauer Himmel, und in den engen,
größtenteils für Wagen unfahrbaren und teilweise überbauten Straßen wogte das
bunteste orientalische Leben, dessen einheitliches Bild fast niemals durch irgend
einen sich hineinverirrenden Europäer in seinem Zauber gestört wurde. Wir waren
augenblicklich die einzigen Eindringlinge; ein eigentümliches Gefühl des Nicht-
hineingehörens in diese fremde Welt beschlich uns, und wir wagten uns anfangs
nur scheu und zögernd unter die von uns durch Religion, Sprache und Sitten ge¬
trennten Menschen, von denen wir gar nicht einmal wußten, ob sie uns Christen
nicht mit vor Haß und Fanatismus lodernden Augen betrachteten; denn es gibt
jetzt noch von Zeit zu Zeit unter den Moslemin in Tunis christenfeindliche, drohende
Stimmungen, welche beim geringsten Anlaß in Tätlichkeiten übergehen könnten,
und es dürfen auch jetzt noch die Christen keine Moschee betreten, unter Gefahr,
von den gekränkten „Rechtgläubigen" gesteinigt oder zerrissen zu werden.
Will man das orientalische Leben, namentlich das Stüdteleben, in seiner
größten Rührigkeit kennen lernen, so muß man die Bazare besuchen und das nicht
einmal, sondern wiederholt; denn zu den belebten Stunden ist das Drängen,
Stoßen und Durcheinanderschreien der sonst meist apathischen Orientalen so groß,
daß der nicht daran Gewöhnte davon vollständig betäubt und eines klaren Über¬
blickes unfähig wird. Die Gassen sind eng; rechts und links befinden sich die
Warenbuden, und da staut sich leicht der Menschenstrom. Um uns Durchgang zu