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VI. Naturbeschreibung.
Menschenmenge und auf einem größeren Areal das Hauptnahrungsmittel liefern
und deshalb Gegenstand der Kultur geworden sind, und höchstens kann man viel¬
leicht für einen sehr beschränkten Kreis in Ostindien noch die Cykadeen und Sago¬
palmen eben ihres mehlreichen Markes wegen hinzurechnen. Alle anderen Nahrungs¬
pflanzen sind solche, die entweder einen unter der Erde fortvegetierenden, gewöhnlich
knollenförmigen Stamm besitzen, der nur wenige Monate dauernde Triebe über den
Boden hervortreibt, an denen sich Blüten entwickeln und Früchte reifen, während
er in der übrigen Zeit gleichsam schlafend unter der schützenden Erddecke der Ungunst
des Klimas trotzt, — oder solche, die am Ende einer kurzen Vegetationsperiode ganz
absterben und nur im schlummernden Keime des Samens die zukünftige Wieder¬
erzeugung sichern. Zu den ersteren gehören z.B. die den Kordilleren Chiles, Perus
und Mexikos entlehnte Kartoffel, zu den anderen fast alle unsere Getreidearten.
Nur eine Pflanze zeichnet sich unter den Kulturpflanzen noch durch eine be¬
sondere Vegetationsweise aus, eine Pflanze, die vielleicht das erste Geschenk der
Natur an den erwachenden Menschen und somit der Gegenstand der allerältesten
Kultur ist, ich meine die Banane. Und nicht nur die erste, auch die wertvollste Gabe
der Natur ist diese Pflanze, deren schwach aromatische, süße und nahrhafte Früchte
deni größten Teile der Bevölkerung der heißeren Landstriche die einzige oder doch
die vornehmste Nahrung sind. Ein unter der Erde fortkriechender Wurzelstock treibt
aus seitlichen Augen einen 15—20 Fuß langen Schaft in die Höhe, der nur aus
den übereinander gerollten, scheidenförmigen Blattstielen besteht, welche die oft
10 Fuß langen und 2 Fuß breiten, samtartig glänzenden Blätter tragen; nur die
Mittelrippe des Blattes ist derb und dick, die Blattfläche zu beiden Seiten aber so
zart, daß sie vom Wind leicht zerrissen wird, wodurch das Blatt ein eigentümlich
gesiedertes Ansehen erhält. Zwischen den Blättern hervor drängt sich der reiche
Blütenbüschel, der schon drei Monate, nachdem der Trieb sich erhoben, 150—180
reife Früchte, etwa von der Größe und Form einer Schlangengurke, gebildet hat.
Die Früchte zusammen wiegen etwa 70—80 Pfund; derselbe Raum, welcher
imstande ist, 1000 Pfund Kartoffeln zu tragen, bringt in bedeutend kürzerer Zeit
44 000 Pfund Bananen hervor; und wenn wir den Nahrungsstoff selbst in Rech¬
nung bringen, den diese Frucht enthält: so kann eine Fläche, die, mit Weizen bestellt,
einen Menschen ernährt, mit Bananen bepflanzt, fünfundzwanzig ihren Unterhalt
gewähren. Nichts füllt einem Europäer, der in der heißen Zone landet, anfänglich
so sehr auf, als das winzige Fleckchen Kulturland um eine Hütte, die eine höchst
zahlreiche Jndianerfamilie birgt.
Erst bei weitem später lernte der Mensch die Gaben des Ceres kennen und an¬
bauen. Jetzt muß es uns in der Tat überraschen, zu sehen, daß bei weitem dem
größten Teile aller Menschen nur wenige Arten einer einzigen Pflanzenfamilie den
hauptsächlichsten Nahrungsstoff liefern, nämlich die sogenannten Getreidepflanzen
oder Cerealien aus der Familie der Gräser. Die Familie umfaßt nahe an 4000
Arten, und von diesen werden noch nicht 20 zur Nahrung für den Brenschen kulti¬
viert. Diese Kulturgräser sind ihrer Natur nach zwar sämtlich Sommergewächse;