Der Triumphzug des Titus.
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trat die Fürstin; sie war bekümmert um die Niederlage ihres Verwandten und
sprach leise zu dem Gaste: „Erwäge, Held, leicht trifft der Pfeil des Jägers den
Auerhahn, wenn er, die Flügel breitend, seine Stimme erhebt." Aber Ingo sah auf
Irmgard*), welche in froher Erwartung hinter der Mutter stand und ihn freund¬
lich anlachte, und er antwortete mit heißen Wangen: „Zürne mir nicht, Herrin!
Ich bin gefordert, nicht habe ich mich in den Kampf gedrängt; ungern entsagt der
Mann der angebotenen Ehre." Er trat rückwärts zum Sprunge, hob sich gewaltig
in die Luft und vollbrachte den Schwung, daß alles Volk jauchzte. Und da er
zurückkehrte, achtete er nicht auf die unwillige Miene der Fürstin; er freute sich, daß
ihm die Kunst gelungen war, und daß Irmgards Angesicht rosig erglänzte. Lange
wogten die Zuschauer durcheinander, sprachen über die Kühnheit des Fremdlings
und rühmten ihn, bis dem Wettkampfe der Männer andere Ziele gesetzt wurden.
Ingo stand fortan still neben den Häuptlingen, und niemand forderte ihn zu neuem
Streit. Gustav Freytag.
50. Der Triumphzug des Titus.
Nach Jerusalems Zerstörung war Titus nach Berytus, dann nach Cäsarea
gegangen, wo jüdische Gefangene in Masse zu Ehren von Vespasians Geburts¬
tag im Zirkus niedergemetzelt wurden. Hierauf war er nach Rom zurückgekehrt,
wo Vater und Sohn den Triumph über Judäa feierten. Diesen Triumph schildert
Flavins Josephus, welcher, bei der Einnahme Jotapatas gefangen, während
der Belagerung der Hauptstadt in Titus' Lager und ohne Erfolg als Unterhändler
gebraucht, den traurigen Mut hatte, Augenzeuge des Siegesjubels zu sein, wie er
sich dazu hergab, wenn nicht die Tatsachen, doch die Motive der tragischen Begeben¬
heiten im römischen Interesse zu entstellen. „Das Heer", so erzählt er, „war bei
Nachtzeit in Reih' und Glied unter seinen Führern aufgestellt worden vor den
Toren des Jsistempels, wo die Imperatoren die Nacht zubrachten. Bei Tages¬
anbruch erschienen Vespasian und Titus mit Lorbeerkränzen und im Purpurgewand
und schritten nach der Halle der Oktavia, wo der Senat, die angesehensten Würden¬
träger, die vornehmsten Ritter ihrer harrten. Vor der Halle standen auf einer
Bühne elfenbeinene Sessel; auf diese setzten sich die beiden Imperatoren unter dem
Jubelruf des ihre Taten preisenden Heeres. Die Krieger waren unbewaffnet, in
seidenen Gewändern, mit Lorbeer bekränzt. Nachdem Vespasian ihren Zuruf ver-
nommen, unterbrach er den Jubel durch ein Zeichen zum Schweigen, und als Stille
eingetreten, erhob er sich, verhüllte sein Haupt und sprach ein Dankgebet. Titus
tat ein Gleiches. Nach dem Gebet richtete Vespasian an die Versammlung einige
Worte und entließ dann die Soldaten zu dem nach herkömmlicher Weise von den
Imperatoren bereiteten Mahl. Er selbst ging mit Titus nach dem Triumphtor
*) Die Tochter Answalds.