Die Gallier vor Clusium und an der Allia.
Die Leser haben vorhin vielleicht an den zürnenden Achill gedacht, der,
von Agamemnon, dem Heerfürsten der Griechen, schwer beleidigt, den Göt¬
terkönig bitten ließ, er möge die Griechen mit Kriegsunfällen und Nieder¬
lagen 'züchtigen, bis Agamemnon erkenne, was er damit sich ange¬
richtet habe, „daß er so gar nichts ehrte den tüchtigsten der Achäer."
Aristides der Gerechte hat ein Beispiel des Edleren gegeben. Als die Athe¬
ner ohne Ursache, nur aus Ueberdruß seiner stetigen Verdienste um das
Vaterland, ihn verbannten, vergalt er's bloß mit dem frommen Wunsche:
„Möchte die Athener kein Unglück treffen, das sie nöthiget, des Aristides
zu gedenken!" Camillus war dahin gegangen, ähnlicher dem zürnenden
Achill als Aristides dem Gerechten.
Aber in der That ließ es sich an, als ob die Gottheit, deren Amt
ts ist, der mit Undank belohnten Tugend Vergeltung zu verschaffen, um
Camillus willen eine schwere Züchtigung über Rom herbeiführe. Man
erzählte sich von Anzeichen eines nahen Unglücks. Marcus Cädicius,
ein gewöhnlicher, aber achtbarer Bürger, so hieß es, habe der Obrigkeit
von einem seltsamen Vorfall Meldung gethan. Als er nämlich bei
Nacht die sogenannte neue Straße durchschritten, sei er von jemandem
angerufen worden, und als er sich umgewendet, sei niemand zu sehen
gewesen; aber eine Stimme, stärker als eine menschliche, habe sich hören
lassen: „Melde den Behörden, sie sollen in kurzem die Gallier erwar¬
ten." Das habe der Mann gethan, aber man habe die Warnung wegen
des geringen Standes des Gewährsmannes als eine leere Einbildung
verachtet, und bald daraus sei die Verbannung des Camillus erfolgt, des
Einzigen, der nach menschlichem Ermessen "Rom unter so dringenden
Gefahren hätte schützen und erhalten können.
Jetzt trafen Gesandte aus der etrurischen Stadt Clusium ein
und begehrten Hülse gegen die Gallier. Den Römern war dieses Volk
bis dahin ziemlich unbekannt geblieben, obwohl es schon seit geraumer
Zeit die Landschaften jenseit des Apennin, welche wir jetzt unter dem
Namen Oberitalien begreifen, inne hatte. Keltische Stämme hatten vor
Jahrhunderten im Zeitalter des Tarquinius Priscus ihre Wohnsitze im
eigentlichen Gallien, dem heutigen Frankreich, wegen Uebervölkerung des
Landes verlassen und waren ausgezogen, sich eine neue Heimat zu suchen.
Ein Flüchtling aus Etrurien, Arnus, so erzählt die Sage, habe bei ihnen
Aufnahme gefunden und von dem Weine seines Vaterlandes zu kosten
gegeben. Der Genuß dieses ihnen noch unbekannten Getränkes, womit
Frankreich in unsern Zeiten die ganze Welt versorgt, habe die Gallier
wie unsinnig vor Vergnügen gemacht und zu dem Unternehmen ange¬
feuert, das Alpengebirge zu übersteigen und das gesegnete Land aufzu¬
suchen, welches solche Frucht trage und wogegen jedes andere Land für
rauh und unfruchtbar gelten müpe. Sie eroberten gleich beim ersten
Andrang die ganze Gegend, welche sich längs der Alpen bis an das
beiderseitige Meer erstreckt. Dieses ganze Gebiet war schon damals wohl
angebaut, mit fruchtbaren Bäumen bepflanzt und reich an trefflichen
Weiden. Es hatte achtzehn schöne und große, für den Gewerbefleiß zweck¬
mäßig und zum Lebensgenuß glänzend eingerichtete Städte, welche die
Gallier jetzt den Etruriern abnahmen. Sie selber gründeten die Stadt