225
3. Völlig verändert wurde, wie wir wissen, während der be¬
wegten Kriegszeit die schon durch Friedrich Wilhelm I. und FriedrichII.
gemilderte Lage des Bauernstandes. Das nutzbare Eigentum
der Landbevölkerung wurde in freies Eigentum umgewandelt und
von den herkömmlichen Lasten und Diensten befreit. Was in Frank¬
reich der furchtbare Volksaufstand herbeiführte, das geschah bei uns
auf friedlichem Wege: alle Bürger wurden vor dem Gesetze gleich,
also in jeder Hinsicht gleichberechtigt. Der Anstoß dazu ging in der
Zeit der höchsten Not vom hohenzollernschen Königsthrone aus.
Daß sich der ländliche Grundbesitz zum größten Teile nicht als
volles Eigentum in den Händen seiner Bebauer und Besitzer
befand, war eine Folge des Lehnswesens. Den Pflichten der
Bauern standen die Rechte der Gutsherren gegenüber; sie mußten
in einem Rechtsstaate Berücksichtigung finden. Die grundherrlichen
Rechte freilich konnten ohne Entschädigung aufgehoben werden; da¬
gegen mußte für die daraus entspringenden Abgaben und Leistungen
eine Vergütung eintreten, d. h. die eigentlichen Grundlasten mußten
durch eme Entschädigung „abgelöst" werden. Die Ablösung wurde
m der ersten und zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts in allen
deutschen Staaten planmäßig durchgeführt. Am meisten zurück¬
geblieben ist Mecklenburg. An die preußische Gesetzgebung (Stein-
Hardenbergsche Gesetzgebung; Ablösnugs- und Rentenbankgesetz von
1850) lehnte sich die anderer Länder an. — Das Ablösungs¬
verfahren wurde auf Antrag der Berechtigten oder Verpflichteten
eingeleitet. Der Bauer befreite sich gern von den schon lange mit
Mißbehagen getragenen Lasten. Die Entschädigung erfolgte durch Er¬
legung des zwanzigfachen (in anderen Ländern 10—25fachen) Betraas
des jährlichen Reinertrags. Zur Erleichterung der Ablösung wurden
Rentenbanken errichtet. Der Berechtigte (Gutsbesitzer) erhält
Rentenbriefe in Höhe des zu zahlenden Betrags und zu dem orts¬
üblichen Zinsfüße. Der Verpflichtete (Bauer) hat bis zur Tilgung
der schuld, also einige Jahrzehnte hindurch, die Zinsrente („Zehnt¬
gelder") an die Bank zu entrichten. Diese Rente wird wie die
Staatssteuer erhoben.
Durch Einführung der Gewerbefreiheit war der Zunft¬
zwang aufgehoben worden. Die Betreibung eines Handwerks stand
jedermann frei, sobald er sich durch Verschaffung eines Gewerbescheins
das Recht dazu erworben hatte. Mit dem aufblühenden Fabrik¬
wesen hob sich die deutsche Industrie mehr und mehr.
Hohmann, Vaterländische Geschichte. 15