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gefiederten Wedeln gebildete kleine Krone, überragt von einer scharfen hell¬
grünen Spitze, die der Palme das Ansehen eines schwankenden Rohres gibt.
Die Palmen scheinen die Geselligkeit zu lieben; denn wo sie vorkommen, trifft
man sie auch gleich in großer Anzahl. Ihr Anblick ist überaus malerisch,
jedes Lüftchen schaukelt sie, und sanft schütteln sie das liebliche Haupt, als
ob sie voll Huld und Anmut hcrabgrüßen wollten. Doch wir vergessen über
den schlanken Palmen beinahe die baumartigen Farnkräuter, die allein an
Schönheit und Mannigfaltigkeit mit ihnen wetteifern können. Sie ähneln
sehr den Palmen, nur ist ihr leichtes, biegsames Blätterdach flacher und
weniger buschig als das der Palmenkrone.
130. Die Steppe.
Wo in den wärmeren Teilen der gemäßigten Zone die Bewässerung
fehlt und der durchlässige Boden das Grundwasser in unerreichbare Tiefen
versinken läßt, da liegt das Reich der waldlosen Steppe.
Sie beginnt im Süden der Karpathen und erstreckt sich dann in ununter¬
brochenem Zuge durch das ganze südliche Rußland vom Dnjestr über den
Uralfluß hinaus nach Asien, wo sie, im Osten allmählich in hohes Tafelland
aufsteigend, bis an die chinesische Mauer reicht. Sie trügt weder Baum noch
Strauch ; auf welliger Ebene, die dem uferlosen Meere gleicht, bilden hohe
Steppengräser, die sich nicht zu weichem Rasen zusammenschließen, sondern
in gesonderten, starren Büscheln hervorsprießcn, ein wogendes Feld, in dem
das Roß des schweifenden Kosaken sich verbirgt. Auf lehmigem Boden
erheben sich dornige Ginster- und Tragantbüsche oder hochwüchsige Doldcn-
pflanzen. Während der glühendheißen, regenlosen Sommerzeit ist die Steppe
völlig ausgebrannt, nur in unterirdischen Zwiebeln, Knollen und Wurzel-
stöcken erhält sich, wie unter der Asche schlummernd, ein Funke des Pflanzcn-
lebens; durch die Herbstregen wird er wieder angefacht, und wie mit einem
Zaubcrschlage verwandelt sich die Steppe in wenigen Tagen in einen Blumen¬
garten, den die schönsten Arten von Lilien, Hyazinthen, Tulpen, Kaiser¬
kronen, Zeitlosen, Orchideen in allen Farben des Regenbogens schmücken; der
strenge, schneearme Winter unterbricht bald das Leben, bis der Frühling
aufs neue einen schnell vergänglichen Blumenflor ins Dasein ruft.
In der Steppe gedeiht keine Kultur; sie ist den Nomadenstämmen
preisgegeben, die oft von hier ausschwärmend sich über die gesegneten Gefilde
nach Ost und West ergossen. Nur wo tief eingeschnittene Flußthäler die
Möglichkeit künstlicher Bewässerung bieten, da erscheinen mitten in der
Steppe, wie Oasen in der Wüste, die fruchtbarsten Getreidefelder der Welt,
die sich schon in alter Zeit zu blühenden Kulturmittelpunkten entwickelten;