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der allwaltende Weltgeist? —Durchwandert die Finsternis! Hört
ihr die Gesänge und den Reigen? Es ist eine fröhliche Schar,
die den Tanzsaal lieber hat, als den Schlaf. Seht ihr den
weitherstrahlenden Kerzenschein? Er umglänzt eine festliche Tafel,
die noch lange nicht aufgehoben sein wird. Bemerkt ihr das matte
einsame Licht dort? Es leuchtet einem stillen Denker, der in
Nachforschungen sich vertieft hat, einem fleißigen Arbeiter, dem
der Tag zu kurz ist für das lange Bedürfnis, einem armen
Kranken, der die Stunden der Ruhe unter folternden Schmerzen
durchkämpfen muß.
Gehet in einer Sommernacht über Feld! Hier zirpt eine
Grille; da schlägt eine Wachtel; dort summt ein Käfer; da ruft
es im Schilfrohr. Hier rauscht ein Wild aus dem Dickicht;
dort schallt es herüber wie Wächterhorn, von den Hütten der
Menschen. Über euch hin schwirrt im ungewissen Fluge die Eule;
und im Gebüsch flüstern auf euch nieder die Träume der schlafen¬
den Vöglein. — Könntet ihr vollends sehen, was ihr nicht seht,
und hören, was ihr nicht hört: wie würdet ihr das Klopfen, das
Treiben, das Schaffen, das geheime Regen und Bewegen wahr¬
nehmen in allen Teilen der Natur! Tretet hinaus in die Nacht-
luft. Der Wind haucht auch über schlummernde Fluren, und
der Strom predigt im Mondenscheine, wie im Mittagsglanze.
Blicket empor in die Höhe! Die Sterne finden ihre Bahn
gleich der Sonne und halten unverrückt ihre ewige Ordnung, wie
die Feldblume ihre Zeit. — Lauschet hinunter in die Tiefe!
Während ihre Kinder schlafen, legt die Mutter Erde sie dichter
an die nährende Brust; und frischeres Gedeihen steigt in die
Pflanzen, „daß die Bäume des Herrn voll Saft stehen und das
Land voll Früchte werde, die er schafft; daß da Gras wachse für
das Vieh, und Saat zu Nutze den Menschen, und der Wein erfreue
des Menschen Herz, und das Brot des Menschen Herz stärke." —
Oder bleibet ganz in der Nähe und weilet am Lager eines
Schlummernden. Es ist alles still. — Aber die verborgene Lebeus-
werkstatt: o, behorchet sie. Wie die Lungen arbeiten, wie die
Brust sich hebt! Wie der Odem flüstert! Wie das Herz klopft!
Wie die Pulse zittern! Wie die Wangen glühen! Wie das Blut
umläuft, und der Milchsaft seine Kanäle durchströmt zu des Leibes
Erhaltung. Was bedarf es weiter Zeugnis? Ihr sehet: das ,
Leben ruhet in der Nacht, aber nicht überall ruhet es. Und
selbst wo es ruhet, ist die Ruhe nur scheinbar. Mitten durch die
Ruhe gleitet allenthalben Bewegung. —
Wer bewegt an seinem Herzen die Müden? Wer lebt, wo
das Leben erloschen scheint? — Fallet nieder, Christen, und betet
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