Full text: [Teil 5, [Schülerband]] (Teil 5, [Schülerband])

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der allwaltende Weltgeist? —Durchwandert die Finsternis! Hört 
ihr die Gesänge und den Reigen? Es ist eine fröhliche Schar, 
die den Tanzsaal lieber hat, als den Schlaf. Seht ihr den 
weitherstrahlenden Kerzenschein? Er umglänzt eine festliche Tafel, 
die noch lange nicht aufgehoben sein wird. Bemerkt ihr das matte 
einsame Licht dort? Es leuchtet einem stillen Denker, der in 
Nachforschungen sich vertieft hat, einem fleißigen Arbeiter, dem 
der Tag zu kurz ist für das lange Bedürfnis, einem armen 
Kranken, der die Stunden der Ruhe unter folternden Schmerzen 
durchkämpfen muß. 
Gehet in einer Sommernacht über Feld! Hier zirpt eine 
Grille; da schlägt eine Wachtel; dort summt ein Käfer; da ruft 
es im Schilfrohr. Hier rauscht ein Wild aus dem Dickicht; 
dort schallt es herüber wie Wächterhorn, von den Hütten der 
Menschen. Über euch hin schwirrt im ungewissen Fluge die Eule; 
und im Gebüsch flüstern auf euch nieder die Träume der schlafen¬ 
den Vöglein. — Könntet ihr vollends sehen, was ihr nicht seht, 
und hören, was ihr nicht hört: wie würdet ihr das Klopfen, das 
Treiben, das Schaffen, das geheime Regen und Bewegen wahr¬ 
nehmen in allen Teilen der Natur! Tretet hinaus in die Nacht- 
luft. Der Wind haucht auch über schlummernde Fluren, und 
der Strom predigt im Mondenscheine, wie im Mittagsglanze. 
Blicket empor in die Höhe! Die Sterne finden ihre Bahn 
gleich der Sonne und halten unverrückt ihre ewige Ordnung, wie 
die Feldblume ihre Zeit. — Lauschet hinunter in die Tiefe! 
Während ihre Kinder schlafen, legt die Mutter Erde sie dichter 
an die nährende Brust; und frischeres Gedeihen steigt in die 
Pflanzen, „daß die Bäume des Herrn voll Saft stehen und das 
Land voll Früchte werde, die er schafft; daß da Gras wachse für 
das Vieh, und Saat zu Nutze den Menschen, und der Wein erfreue 
des Menschen Herz, und das Brot des Menschen Herz stärke." — 
Oder bleibet ganz in der Nähe und weilet am Lager eines 
Schlummernden. Es ist alles still. — Aber die verborgene Lebeus- 
werkstatt: o, behorchet sie. Wie die Lungen arbeiten, wie die 
Brust sich hebt! Wie der Odem flüstert! Wie das Herz klopft! 
Wie die Pulse zittern! Wie die Wangen glühen! Wie das Blut 
umläuft, und der Milchsaft seine Kanäle durchströmt zu des Leibes 
Erhaltung. Was bedarf es weiter Zeugnis? Ihr sehet: das , 
Leben ruhet in der Nacht, aber nicht überall ruhet es. Und 
selbst wo es ruhet, ist die Ruhe nur scheinbar. Mitten durch die 
Ruhe gleitet allenthalben Bewegung. — 
Wer bewegt an seinem Herzen die Müden? Wer lebt, wo 
das Leben erloschen scheint? — Fallet nieder, Christen, und betet 
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