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Anblick gewähren und die Lust mit betäubendem Dufte erfüllen. Denkt man
sich dazu schroffe, oft mehrere Hundert Meter fast senkrecht aufstrebende Fels¬
wände, die vielfach von unten bis oben mit mächtigem, altem Efeu berankt
sind, so kann man sich einen Begriff von den Reizen dieser Landschaft machen.
Dagegen hat die grusinische Hochebene, in die man nach dem Überschreiten des
Surams gelangt, und in der die Straße nach Tiflis, fast beständig dem Lause
des Kur folgend, weiterführt, keine besonderen Schönheiten; sic ist steinig,
vielfach zerklüftet und pflanzenarm. Doch wird man durch die immer wieder
auftauchende Ansicht der Kette von Schneehäuptern des Kaukasus, die schon
vom Meere aus einen so herrlichen Anblick gewährt, mit der öden Umgebung
versöhnt.
Das vom Kur in tief eingeschnittenem Flußbette durchströmte Tiflis
liegt nach Norden an eine steil abfallende Bergwand angelehnt, die wohl
hauptsächlich schuld daran ist, daß es im Sommer ganz unerträglich heiß in
der Stadt wird. Daher besitzt auch jeder Bewohner von Tiflis, der es irgend
ermöglichen kann, für die heiße Zeit eine zweite, tausend Meter höher gelegene
Wohnung, die er nur verläßt, nm Geschäftsbesuche in der Stadt zu machen.
Eigentlich besteht Tiflis aus zwei ganz verschiedenen Städten, der oberen
europäischen und der unteren asiatischen Stadt, die beide durch scharfe Grenzen
voneinander geschieden sind. Das europäische Tiflis nennt sich gern und mit
Stolz „das asiatische Paris" oder beansprucht doch diesen Ehrentitel unmittelbar
hinter Kalkutta. In der Tat sieht es ganz europäisch aus und wird auch
überwiegend von Russen und Westeuropäern bewohnt: in diesen: Teile liegen
die kaiserliche Residenz, das Theater und sämtliche Regierungsgebäude. Die
angrenzende Stadt ist dagegen nach Ansehen und Bevölkerung rein asiatisch.
Der Grund, weshalb Tiflis ein uralter Kultursitz geworden ist, wird wohl
in den berühmten Thermen zu suchen sein, die für den Orientalen eine noch
höhere Bedeutung haben als für den Okzidentalen.
Wir übernachteten in der schwäbischen Kolonie Annenfeld, die am Fuße
eines steilen Bergabhanges nahe dem Kur in sehr fruchtbarer, aber nicht
gesunder Gegend liegt oder vielmehr lag, denn die Kolonie hat später den
Ort verlassen und sich etwa 150 Meter höher am Abhange des Gebirges ein
neues Dorf erbaut. Es gibt im Kaukasus eine ganze Anzahl solcher schwä¬
bischen Kolonien: auch Tiflis gehört dazu. Sie verdanken ihren Ursprung
streng gläubigen Lutheranern aus Schwaben, die in den ersten Jahrzehnten
des neunzehnten Jahrhunderts in verschiedenen Zügen ihr Vaterland verließen
und auf dem Landwege über Österreich und Rußland nach dem Gelobten Lande
wandern wollten, wo nach Meinung ihrer Führer irdische und himmlische
Freuden sie erwarteten. Der russischen Regierung lag aber damals viel an
der Einwanderung tüchtiger deutscher Ackerbauer in den Kaukasus, sie hielt
daher die Kolonnen dort an und veranlaßte sie, unter ihrem Geleit eine
Kommission nach Jerusalem vorauszuschicken, die erst prüfen sollte, ob dort
auch wirklich passendes Land für sie zu haben sei. Als diese nach längerer Frist