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gänzt; unter der Führung des Grafen von Lehndorff ward ein prächtiges Reiter¬
regiment von Freiwilligen beritten gemacht. Das war eine Begeisterung in den
Städten und auf dem Lande, aus den Straßen und in den Feldern, auf den
Kathedern und Kanzeln und in den Schulen! In kälterer, ärmerer Zeit lächelt
man, wenn man zurückdenkt; aber es war alles bitterster, heiligster Ernst, was
den Leuten jetzt ein kindliches, ja kindisches, höchstens ein gemachtes poetisches
Spiel dünken würde. Da sagten die sechzehn-, siebenzehnjährigen Jünglinge, die
für die Waffenlast kaum reisen Jünglinge, beim Abschied aus den Gymnasien,
als sie das Roß tummeln und die Büchse laden lernen wollten, übersetzte Stücke
aus den Hymnen des Tyrtäus, lyrische Stücke aus der Klopstockischen Hermanns¬
schlacht her, und Männer und Greise, Väter und Mütter standen mit gefalteten
Händen dabei, und beteten still Sieg und Segen. Ich schrieb da ein Büchlein
über „Landwehr und Landsturm," woran ich Freude erlebt habe; es ist Monate
später über ganz Deutschland hingeflogen und ohne mein Zuthun in vielen
tausend Abdrücken vervielfältigt worden. Solches sind hinfliegende Blätter, die
mit der hinfliegenden Zeit gleich andern fliegenden Blättern sich gelben und ver¬
gessen werden. Doch ist ja jeder einzelne auch nur ein hinfliegendes Blatt.
148.
Aufruf des Königs von Preußen.
(Von Theodor von Hippel.)
An mein Volk.
SO wenig für mein treues Volk als für Deutsche bedarf es eine Rechen¬
schaft über die Ursachen des Krieges, welcher jetzt beginnt: klar liegen sie dem
unverblendeten Europa vor Augen. Wir erlagen unter der Übermacht Frank¬
reichs. Der Friede, der die Hälfte meiner Unterthanen mir entriß, gab uns
seine Segnungen nicht, denn er schlug uns tiefere Wunden, als selbst der Krieg.
Das Mark des Landes ward ausgesogen. Die Hauptfestungen blieben vom
Feinde besetzt; der Ackerbau ward gelähmt, so wie der sonst so hoch gebrachte
Kunstfleiß unserer Städte. Die Freiheit des Handels ward gehemmt und da¬
durch die Quelle des Erwerbes und des Wohlstandes verstopft. Das Land ward
ein Raub der Verarmung. Durch die strengste Erfüllung eingegangener Ver¬
bindlichkeiten hoffte ich meinem Volke Erleichterung zu verschaffen und den sran- ^
zösischen Kaiser endlich zu überzeugen, daß es sein eigener Vorteil sei, Preußen
seine Unabhängigkeit zu lassen. Aber meine reinsten Absichten wurden durch
Übermut und Treulosigkeit vereitelt, und nur zu deutlich sahen wir, daß des
Kaisers Verträge mehr noch wie seine Kriege uns langsam verderben mußten.
Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo alle Täuschung über unsern Zustand
schwindet. Brandenburger, Preußen, Schlesier, Pommern, Litauer! Ihr wißt,
was ihr seit sieben Jahren erduldet habt; ihr wißt, was euer trauriges Los ist,
wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll enden. Erinnert euch an die
Vorzeit, an den großen Kurfürsten, an den großen Friedrich. Bleibet eingedenk
der Güter, die unter ihnen unsere Vorfahren blutig erkämpfteu: Gewissensfreiheit,
Ehre, Unabhängigkeit, Handel, Kunstfleiß und Wissenschaft. Gedenkt des großen ,
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