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Heiland lehrte, brannte nieder. Die Stellen, wo der Erlöser litt und starb und
auferstand, lassen sich kaum noch mit einiger Wahrscheinlichkeit, geschweige mit
Gewißheit nachweisen. Zwar verkündet Jerusalem sich durch das Großartige
seiner Anlage noch immer als Herrscherin und Königsstadt; zwar zeigt sie sich
aus der Ferne, namentlich vom Ölberg herab gesehen, mit ihren stattlichen Be¬
festigungsmauern und Türmen, mit ihren an den Hügeln emporgebauten Häusern,
deren Platte Dächer von zahllosen runden Kuppeln überwölbt sind, mit allen
Minarets, Klostergebäuden und Kirchen und mit der großen glänzenden Moschee
noch immer als Prachtstadt; allein die alte Herrlichkeit ist längst entschwunden.
Jerusalem, dessen Name einen Wohnort des Friedens bezeichnet, ist so wie
Hebron eine uralte Stadt des heiligen Landes. Das alte Testament sagt nichts
davon, wer sie erbaute, erwähnt ihrer aber unter dem Namen von Salem schon
in den Erzählungen aus Abrahams Zeiten. Als Abraham seinen Anverwandten
Lot aus der Gefangenschaft befreit hatte und mit Aner, Eskol und Mamre von
der Verfolgung Kedor Laomors wieder heimkehrte, brachte Melchisedek, der König
von Salem, den Verbündeten Brot und Wein zur Erquickung und segnete den
Erzvater. Zu Josuas Zeiten wohnten Jebusiter in Jerusalem. Die Stämme
Juda und Benjamin kämpften gegen sie, aber nicht mit dem gewünschten Erfolge,
und mußten es zugeben, daß Jcbusi ter>nter ihnen wohnen blieben. David war
glücklicher. Nachdem^ihn die Ältesten von Israel in Hebron zum König über
ihr Volk gesalbt hatten, zog er mit bewaffneten Scharen nach Jebus, d. i. Je¬
rusalem. Schon damals war Zion stark befestigt. Die Jebusiter, denen die
Burg gehörte, sprachen zu David: „Du wirst nicht hier hereinkommen. Blinde
und Lahme werden dich abtreiben." Aber Zion wurde erobert und seitdem Davids
Stadt genannt. Salomo verschönerte die Stadt und legte durch Erbauung des
prächtigen Tempels, der zum Mittelpunkte des mosaischen Gottesdienstes wurde,
den eigentlichen Grund zu ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung.!
Spätere Könige richteten ihr Augenmerk besonders aus Verteidigungswerke,
die unter Hiskias Regierung so stark waren, daß Sanherib, der König von
Assyrien, die Stadt vergeblich belagerte. Gleichwohl widerstand sie später nicht
dem Andrängen der Feinde, von denen wir nur Nebukadnezar, Alexander den
Großen und Titus nennen wollen, der im Jahre 70 n. Chr. die Stadt in einen
Trümmerhaufen verwandelte. Älius Hadrianus ließ um 135 n. Chr. die Stadt
aus den Trümmern wieder aufbauen. Sie wurde dem Jupiter vom Kapitol
geweiht und zu Ehren des Gottes und zugleich des Kaisers „Colonia Aelia
Capitolina“ genannt. An der Stelle des jüdischen Tempels entstand ein Tempel
des kapitolinischen Jupiter, den Hadrian mit zwei seiner eigenen Statuen schmückte.
Das hadrianische Gebäude scheint sich nicht lange erhalten zu haben; indes ist es
nicht bekannt, wann und bei welcher Gelegenheit es wieder unterging. Eine
Reiterstatne des Kaisers stand noch in den Tagen des heiligen Hieronymus, der
420 starb, an der Stelle, die für den Ort des Allerheiligsten gehalten wurde.
Jerusalem, der alte Name, geriet nach jenen Veränderungen fast in Ver¬
gessenheit und kam erst zwei Jahrhunderte später unter der Regierung Konstantins
des Großen wieder in Gebrauch. Die Juden dursten sich auf Hadrians Verbot
bei Todesstrafe der neuen Stadt nicht nähern. Erst unter Konstantin dem