Full text: Deutsches Lesebuch für die Bedürfnisse katholischer Volksschulen

35. Die Königin Luise während des unglücklichen Krieges. 
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Ludwigs Tochter, nun der einzige noch übrige Sprößling dieser 
unglücklichen Familie. Sie wurde am 19. Dezember 1795, gerade an 
ihrem siebzehnten Geburtstage, aus ihrem Gefängnisse und Vaterlande 
entlassen und an Österreich gegen mehrere gefangene Franzosen aus— 
gewechselt. In der Folge ward sie die Gemahlin des Herzoges von 
Angouleme.“) Ceo u. Welter. 
35. Die Königin Luise während des unglücklichen Krieges. 
Die Königin hatte ihren Gemahl, der sie gern immer in seiner 
Nähe wußte, auf seinen Wunsch vor dem Ausbruche des Krieges bis nach 
Weimar begleitet. Am 13. Oltober in der Nachmittagsstunde brach sie 
aus dem herzoglichen Schlosse in Weimar auf, um ihrem Gemahl nach 
Auerstädt zu folgen. Auf dem Wege dorthin kam ihr das Gerücht 
entgegen, der Feind stehe schon auf den Höhen hinter Kösen, die Straße 
sei nicht mehr sicher. Man riet ihr, umzukehren. Als die Truppen die 
Lönigin nach Weimar zurückfahren sahen, vermuteten sie, der Feind sei 
in der Nähe, und ein weithin schallendes Jauchzen, ein tausendstimmiges 
Vivat brach aus den Reihen der kampflustigen Krieger. Die frohe 
Stimmung des Heeres belebte sie mit frischem Vertrauen. Auf Zureden 
entschloß sie sich, am folgenden Mor⸗ 
gen in der Frühe nach Berlin zurück⸗— 
zureisen. Auf ihrer viertägigen Fahrt 
aus Thüringen durch den Harz 
und die Altmark nach Berlin hörte 
sie bis kurz vor Brandenburg nur un⸗ 
gewisse Nachrichten, bald frohe, bald 
schreckliche. Was sie da empfunden, 
was sie da gelitten, sie selbst hat es 
unsäglich“ genannt, hat sich dieser 
Fahrt zwischen den Bergen der Hoff⸗ 
nung und den Abgründen des Zwei⸗ 
fels hindurch, mit den Worten er— 
innert: Da wird man inne, was der 
Spruch bedeutet: wir wissen nicht, 
was wir beten sollen; sondern der 
Geist selbst vertritt uns mit unaus⸗ 
sprechlichem Seufzen.“ 
Erst am vierten Tage nach 
ihrer Abreise von Weimar, am 
17. Oktober, ereilte sie nahe bei Brandenburg ein reitender Bote. 
Sie nimmt dem heransprengenden Reiter das Schreiben aus der Hand; 
es enthält in wenigen Zeilen die Bestätigung ihrer Furcht, die Ver— 
*) spr. Ahng'⸗gulähm.
	        
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