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I. Geschichtliche Darstellungen.
gegeben worden, durch große, mächtige Taten ihre Namen zu verherr¬
lichen; dieser Kaiser von neunundneunzig Tagen lebt fort in der Seele
des Volkes nicht durch das, was er vollbracht hat, sondern durch das,
was er war. Niemals hat es einen Fürsten gegeben, der durch sein
Wesen und Sichgeben so unmittelbar und bleibend den Weg zu aller
Äerzen fand. Die Zuneigung, die er für alle Menschenbrüder in seinem
Inneren fühlte, erweckte auch in ihnen mit unwiderstehlicher Gewalt die
Gegenliebe, so viele ihrer nicht allein ihn sehen und sprechen durften,
sondern auch nur von ihm hörten. Weit über die Grenzen Deutsch¬
lands hinaus war er geliebt, wurde er nun betrauert, als ob ein teurer,
verehrter Angehöriger geschieden sei. Die letzte Verklärung für das
Gedächtnis der späteren Geschlechter ist ihm dann durch seine unsag¬
baren und mit so bewundernswerter Standhaftigkeit ertragenen Leiden
gewährt worden. Er gehört zu den Märtyrern der Menschheit, deren
Schmerzen um so bitterer, um so teilnahmvoller empfunden werden, je
mehr ihre hohen und schönen Eigenschaften ein anderes Los zu verdienen
schienen. Aber der Mut, die Kraft und das feste Gottvertrauen,
mit denen er das trübste Schicksal aus sich nahm, löst das Schmerz¬
gefühl in milde, verehrende Wehmut auf, die einen Strahlenkranz um
das Äaupt des Dulders webt.
„Dein Los war leiden;
du lerntest dulden und entsagen,
drum sollst du die Krone des Lebens tragen,"
ruft ein heimischer Dichter dem sterbenden Kaiser Friedrich zu. In dem
hehren, scharfen Glanze, der das Äohenzollernsche Königsgeschlecht um¬
gibt, leuchtet in sanftem, herzgewinnendem Scheine das Bild Kaiser
Friedrichs.
g) Charakteristik.
Wenn auch Friedrich III. weder als Kronprinz noch als König
und Kaiser eine tiefeinschneidende und dauernde direkte Wirksamkeit ent¬
falten konnte, so ist er doch eine Persönlichkeit von hohem historischen
Interesse. Seine Heldengestalt wird in alle Zeiten deutscher Ge¬
schichte leuchten als die eines Fürsten, der die deutschen Scharen
wiederholt zu glänzendem Siege geführt hat in den blutigen Kämp¬
fen um des großen Vaterlandes Einheit, Freiheit und Unabhängig¬
keit. In der Schar jener ruhmvollen Paladine, die sich um den greisen
Imperator Wilhelm reihen, steht er nicht nur dem äußeren Range,