Full text: [Teil 5 = achtes (und neuntes Schuljahr)] (Teil 5 = achtes (und neuntes Schuljahr))

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reichlich zu thun. Von der Hausfrau galt es als selbstverständlich, 
daß sie mit jeder häuslichen Arbeit, der gröbsten wie der feinsten, 
bertraut genug war, um ihre Gehilfinnen darin anleiten und es auch 
den geschickteren unter ihnen noch zuvorthun zu können. Die Töchter 
lernten sich, sowie sie heranwuchsen, besonders aber sowie sie die Schule 
verlassen hatten, in die Aufgabe der Mutter hinein; ein gebildetes 
Mädchen von zwanzig bis füͤnfundzwanzig Jahren verstand sich auf 
Kochen, Backen, Einmachen, Waschen, Buͤgeln, Reinmachen, Nähen, 
Flicken, Stopfen ganz gründlich, kannte die Reihenfolge, in welcher 
aͤlle diese Arbeiten im Hause vorkommen mußten, die Zeit, die Gerät— 
schaften und Stoffe, die sie in Anspruch nehmen. Je mehr Töchter 
im Hause waren, desto billiger wurde der Haushalt, denn desto mehr 
konnle man bezahlte Gehilfinnen entbehren. War in einem Hause 
gar keine erwachsene Tochter, so nahm man mit Freuden irgend eine 
nwersorgte jüngere oder ältere Verwandte auf, welche Gelegenheit 
genug fand, sich nützlich zu machen, und sich dadurch ihren Unterhalt 
verdiente. 
Das mußte sich alles ändern in dem Maße, wie man vom 
Selbstmachen zum Kaufen, von dem Trachten nach Sparsamkeit und 
Genügsamkeit zu dem Trachten nach Behaglichkeit und Befriedigung 
des Schönheitssinnes überging. Nun war obendrein das deutsche Volk 
nicht in dem Grade reicher geworden, wie es bei dieser Veränderung 
eigentlich nötig gewesen wäre. Es kostet jetzt sehr viel mehr als vor 
fünfzig Jahren, einen Haushalt zu führen, und die Einnahmen der 
meisten Leute find nicht in demselben Verhältnis gestiegen. Daher 
werden weniger Haushaltungen gegründet, und in jeder einzelnen 
Haushaltung der gebildeten Stände finden außer der alles leitenden 
Hausfrau und vielleicht einer Stellvertreterin nur noch Mägde und 
solche Frauen, die auf Tagelohn ausgehen, genügende Arbeit. 
Die vielen jüngeren und älteren Mädchen, die aus diesen Gründen 
weder in ihrem Elternhause noch bei Verwandten einen Lebensberuf 
fanden, und deren Zahl sich von einem Jahrzehnt zum andern ver— 
mehrt, haben dann zuerst natürlich versucht, sich ihren Unterhalt durch 
allerlei Arbeit und Beschäftigung derselben Art zu verdienen, wie sie 
im Hause vorkommt. Äber es sind ihrer viel mehr als gebraucht 
erden. Darum werden die Stellen, die sie einnehmen möchten: als 
Gesellschafterinnen, als Stützen der Hausfrau, als Kinderpflegerinnen, 
oft schlecht oder gar nicht besoldet, und viele Hunderte können noch nicht 
einmal solche Stellen finden, die doch nur den bloßen Unterhalt und 
gar keine Versorgung für die Tage der Krankheit und des Alters 
gewähren. 
Dann lag der Gedanke nahe, durch Handarbeit Geld zu ver— 
dienen. Aber fast jede Art der häuslichen Handarbeit war inzwischen 
in den Gewerbebetrieb übergegangen, oder es hatten sich die Fabriken 
ihrer bemächtigt. Arbeiterinnen aus den unteren Ständen, welche 
billiger leben können als gebildete en welche zudem eine ordentliche 
Lehrzeit durchmachten und ganz bereit waren, alle sechs Wochentage
	        
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