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welche es das Blut seiner Kinder, die Schlachtfelder und die Kampf—
preise hergab.
Niemals aber hat die Sehnsucht des deutschen Volkes nach seinen
verlorenen Gütern aufgehört, und die Geschichte unserer Zeit ist erfüllt
von den Bestrebungen, Deutschland und dem deutschen Volke die
Größe seiner Vergangenheit wiederzuerringen.
Wenn diese Bestrebungen bisher nicht zum Ziele geführt, wenn
sie die Zerrissenheit, anstatt sie zu heilen, nur gesteigert haben, weil
man sich durch Hoffnungen oder Erinnerungen über den Wert der
Gegenwaͤrt, durch Ideale über die Bedeutung der Thatsachen täuschen
ließ, so erkennen wir daraus die Notwendigkeit, die Einigung des
deutschen Volkes an der Hand der Thatsachen zu suchen und nicht
wieder das Erreichbare dem Wünschenswerten zu opfern.
In diesem Sinn haben die verbündeten Regierungen, im Anschlusse
an gewohnte, frühere Verhältnisse, sich über eine Anzahl bestimmter
und begrenzter, aber praktisch bedeutsamer Einrichtungen verständigt,
welche ebenso im Bereiche der unmittelbaren Möglichkeit, wie des
zweifellosen Bedürfnisses liegen.
Der Ihnen vorzulegende Verfassungsentwurf mutet der Selbständig—
keit der Einzelstaaten zü Gunsten der Gesamtheit nur diejenigen Opfer
zu, welche unentbehrlich sind, um den Frieden zu schützen, die Sicher—
heit des Bundesgebietes und die Entwickelung der Wohlfahrt seiner
Bewohner zu gewährleisten.
Meinen hohen Verbündeten habe Ich für die Bereitwilligkeit zu
danken, mit welcher sie den Bedürfnissen des gemeinsamen Vaterlandes
entgegengekommen sind. Ich spreche diesen Dank in dem Bewußtsein
aus, daß Ich zu derselben Hingebung für das Gesamtwohl Deutsch—
lands auch dann bereit gewesen sein würde, wenn die Vorsehung Mich
nicht an die Spitze des mächtigsten und aus diesem Grunde zur Leitung
des Gemeinwesens berufenen Bundesstaates gestellt hätte. Als Erbe
der preußischen Krone fühle Ich Mich stark in dem Bewußtsein, daß
alle Erfolge Preußens zugleich Stufen zur Wiederherstellung und Er—
höhung der deutschen Macht und Ehre geworden sind.
UÜngeachtet des allgemeinen Entgegenkommens, und obschon die
gewaltigen Ereignisse des letzten Jahres die Unenthehrlichkeit einer
Neubildung der deutschen Verfassung zu allseitiger Überzeugung ge—
bracht und die Gemüter für die Annahme derselben empfänglicher
gemaͤcht hatten, als sie früher waren und später vielleicht wiederum
sein würden, haben wir doch in den Verhandlungen von neuem die
Schwere der Aufgabe empfunden, eine volle Übereinstimmung zwischen
so vielen unabhängigen Regierungen zu erzielen, welche bei ihren
Zugeständnissen obenein die Stimmungen ihrer Landstände zu be—
achten haben.
Je mehr Sie, Meine Herren, sich diese Schwierigkeiten ver—
gegenwärtigen, um so vorsichtiger werden Sie, davon bin Ich über—
zeügt, bei Prüfung des Verfassungsentwurfes die schwerwiegende
Verantwortung für die Gefahren im Auge behalten, welche für die