Full text: [Teil 5, [Schülerband]] (Teil 5, [Schülerband])

Abhandlungen. 
155 
52. Bedeutung der Spiele. 
Unter Spiel versteht man jede leichte, unterhaltende und hiedurch 
angenehme Beschäftigung zum Zwecke der Erholung von der Arbeit 
und zur Stärkung für die Arbeit. Das Bedürfnis, sich durch eine 
spielende Beschäftigung zu erholen, liegt in der Natur des Menschen. 
Darum ist auch das Spiel an sich selbst, und wenn es im rechten 
Sinne und im gehörigen Maße geübt wird, so wenig etwas Tadelns¬ 
wertes, daß sogar -fromme und heilige Männer dasselbe zu Zeiten nicht 
verschmäht haben. Bekannt ist, was hierüber die Legende vom hl. Jo¬ 
hannes, dem Evangelisten, erzählt. Johannes, so lautet die von Herder 
zu einer schönen Dichtung benützte Sage, spielte einst mit einem zahmen 
Rebhuhn, das er mit der Hand streichelte und liebkoste. Da kam ein 
Mann, ein Jäger dem Ansehen nach, und betrachtete den Evangelisten 
mit Verwunderung, weil dieser auf eine nach der Vorstellung des Fremden 
für den Heiligen nicht geziemende Art sich an dem Tierchen belustigte. 
„Bist du denn wirklich," so fragte er, „der Apostel, von dem alle Welt 
redet und dessen Ruhm mich hieher zog? Wie paßt diese Belustigung 
zu deinem Ruhme?" „Guter Freund," antwortete der sanfte Johannes, 
„was sehe ich da in deiner Hand?" „Einen Bogen," erwiderte der 
Fremdling. „Und warum hast du ihn nicht immer gespannt und immer 
bereit zum Schuß?" „Ei, das darf nicht sein," versetzte jener; „wäre er 
immer gespannt, so würde er seine Kraft verlieren und bald untüchtig 
sein." „Nun, so wundere dich denn nicht über mich!" fuhr Johannes fort. 
„auch mein Geist bedarf gleich deinem Bogen zuweilen der Abspannung; 
immerwährende Anstrengung würde ihn abstumpfen und schwächen; die 
Erholung, die ich ihm gönne, muß ihn schürfen und stärken." 
Nach dem angegebenen Zweck der Spiele, Erholung von der Arbeit 
und Stärkung für die Arbeit, läßt sich auch der höhere oder geringere 
moralische Wert der Spiele im allgemeinen leicht bestimmen. Er richtet 
sich nach der Natur des Affektes, der zur Spannung unserer Thätigkeit 
mit herbeigezogen wird. Je unschuldiger dieser ist, desto unschuldiger 
ist das Spiel. Sein Wert ist daher so verschieden wie die Natur der 
harmlosen Freude, des Geselligkeitstriebes, der Ehrliebe, der Gewinn¬ 
sucht, des Eigennutzes u. s. f. Auch die Grade des Affektes bestimmen den 
moralischen Wert des Spieles; denn jede Steigerung kann diesen ent¬ 
weder erhöhen und bedeutender machen oder auch vermindern, wenn sie 
üble Leidenschaften erregt und die Freiheit des Willens hemmt. Der sitt-
	        
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