Abhandlungen.
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52. Bedeutung der Spiele.
Unter Spiel versteht man jede leichte, unterhaltende und hiedurch
angenehme Beschäftigung zum Zwecke der Erholung von der Arbeit
und zur Stärkung für die Arbeit. Das Bedürfnis, sich durch eine
spielende Beschäftigung zu erholen, liegt in der Natur des Menschen.
Darum ist auch das Spiel an sich selbst, und wenn es im rechten
Sinne und im gehörigen Maße geübt wird, so wenig etwas Tadelns¬
wertes, daß sogar -fromme und heilige Männer dasselbe zu Zeiten nicht
verschmäht haben. Bekannt ist, was hierüber die Legende vom hl. Jo¬
hannes, dem Evangelisten, erzählt. Johannes, so lautet die von Herder
zu einer schönen Dichtung benützte Sage, spielte einst mit einem zahmen
Rebhuhn, das er mit der Hand streichelte und liebkoste. Da kam ein
Mann, ein Jäger dem Ansehen nach, und betrachtete den Evangelisten
mit Verwunderung, weil dieser auf eine nach der Vorstellung des Fremden
für den Heiligen nicht geziemende Art sich an dem Tierchen belustigte.
„Bist du denn wirklich," so fragte er, „der Apostel, von dem alle Welt
redet und dessen Ruhm mich hieher zog? Wie paßt diese Belustigung
zu deinem Ruhme?" „Guter Freund," antwortete der sanfte Johannes,
„was sehe ich da in deiner Hand?" „Einen Bogen," erwiderte der
Fremdling. „Und warum hast du ihn nicht immer gespannt und immer
bereit zum Schuß?" „Ei, das darf nicht sein," versetzte jener; „wäre er
immer gespannt, so würde er seine Kraft verlieren und bald untüchtig
sein." „Nun, so wundere dich denn nicht über mich!" fuhr Johannes fort.
„auch mein Geist bedarf gleich deinem Bogen zuweilen der Abspannung;
immerwährende Anstrengung würde ihn abstumpfen und schwächen; die
Erholung, die ich ihm gönne, muß ihn schürfen und stärken."
Nach dem angegebenen Zweck der Spiele, Erholung von der Arbeit
und Stärkung für die Arbeit, läßt sich auch der höhere oder geringere
moralische Wert der Spiele im allgemeinen leicht bestimmen. Er richtet
sich nach der Natur des Affektes, der zur Spannung unserer Thätigkeit
mit herbeigezogen wird. Je unschuldiger dieser ist, desto unschuldiger
ist das Spiel. Sein Wert ist daher so verschieden wie die Natur der
harmlosen Freude, des Geselligkeitstriebes, der Ehrliebe, der Gewinn¬
sucht, des Eigennutzes u. s. f. Auch die Grade des Affektes bestimmen den
moralischen Wert des Spieles; denn jede Steigerung kann diesen ent¬
weder erhöhen und bedeutender machen oder auch vermindern, wenn sie
üble Leidenschaften erregt und die Freiheit des Willens hemmt. Der sitt-