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Darauf wandte er sich gegen Chararich.*) Denn als er mit
Siagrius gekämpft hatte, war Chararich, obwol von ihm zu Hilfe
gerufen, ferne stehen geblieben und hatte ihm keinen Beistand ge¬
leistet, sondern den Ausgang der Sache erwartend, wollte er mit
dem das Band der Freundschaft knüpfen, der den Sieg gewänne.
Deshalb hatte Chlodowich Groll auf ihn und zog gegen ihn aus.
Er nahm aber mit List ihn und seinen Sohn gefangen und ließ
beide feßeln und scheren: Chararich ward zum Priester, sein Sohn
zum Diakon geweiht. Und als Chararich über seine Erniedrigung
klagte und weinte, da, erzählt man, sprach sein Sohn zu ihm also:
„Am grünen Holze sind diese Zweige verschnitten, aber sie sind
nicht dürr, sondern bald werden sie wieder ausschlagen und wachsen.
Möchte doch nur sobald der umkommen, der dieß gethan!" Solches
Wort drang zu Chlodowichs Ohren, daß sie drohten, ihr Haar
wieder wachsen zu laßen und ihn zu todten: da befahl er sie zu
derselben Zeit zu enthaupten und gewann so nach ihrem Tode ihr
Land, ihren Schatz und ihr Volk.
Es lebte aber damals zu Cambray König Ragnachar, ein Mann,
der so den Lüsten ergeben war, daß er kaum seine nächsten Ver¬
wandten unbeschimpft ließ. Zu seinem Vertrauten hatte er den Farro,
einen gleichschmutzigen Menschen, und brachte nran ihm Speise oder
ein Geschenk oder irgend etwas anderes, so soll er immer gesagt
haben, es sei genug für ihn selbst und seinen Farro. Darüber
schwoll das Herz der Franken von bitterem Grimme, und Chlodo¬
wich schickte ihnen goldene Armspangen und Wehrgehänge — sie
sahen freilich nur auö wie Gold, denn es war künstlich vergoldetes
Erz —, die schickte er vornehmen Leuten deS Ragnachar, daß sie
ihn gegen ihren König in das Land riefen. Als er darauf
mit seinem Heere gegen ihn ausbrach, sandte jener zum öfteren Kund¬
schafter aus, um alles zu erforschen, und als sic zurückkehrten, fragte
er sie, wie stark das Heer der Feinde sei. „Für dich, sagten sie,
und deinen Farro ist des Volkes übergenug." So zog Chlodowich
heran und begann gegen ihn den Kampf. Ragnachar aber sah
sein Heer besiegt und wollte fliehen. Da ergriffen ihn die Seinigen,
banden ihm die Hände auf den Rücken und führten ihn mit seinem
Bruder Richar vor Chlodowich. „Wie, sprach dieser, konntest du
so unser königliches Geschlecht erniedrigen, daß du dich binden ließest?
Ruhmvoller wäre für dich der Tod gewesen!" Und er erhob seine
Axt und spaltete ihm damit den Kopf. Darauf wandte er sich
zum Bruder desselben und sprach: „Wenn du deinem Bruder bei-
*) Chararich beherschte einen St-mm der Salischen Franken.
Derichsweiler, Lesebuch 71.
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