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auch die Aufgaben seines Königsberufs und die geschichtliche Mission
seines Staates größer und tiefer erfaßte, als alle. Durch die
Macht seines Genius wußte Friedrich nicht nur die größten und
edelsten Geister seines Volkes und seiner Zeit in seinen Zauber¬
kreis zu bannen, sondern auch die widerstrebenden in seine Bahnen
mit fortzureißen. Rücksichtslos gegen das Leben und die Person
des einzelnen, wo es die Verfolgung seiner hohen, idealen Ziele
galt, stellte er die höchsten Anforderungen an sich selbst und an
sein Volk und verstand es, dieses zu stärken und zu stählen für
die schwere, eiserne Arbeit, zu der es bestimmt war und ist. Er
wollte sein Volk zum Träger der großen Ideen seiner Zeit machen
und bediente sich dazu zweier mächtiger Hebel, welche seit Fried¬
richs Tagen bis auf unsere Zeit die Grundlage jedes geistigen Fort¬
schritts und alles neuen Lebens in Preußen geblieben sind: In¬
telligenz und Patriotismus. So wurde die halbhundertjährige
Epoche der Regierung dieses großen Königs eine hochbedeutsame
für die Entwicklung des preußischen Staates und für das gesamte
deutsche Volk, dem er nach einer langen Zeit der politischen Armut
und der Enthaltung von allem selbständigen, willenskräftigen
Handeln wieder das Bild eines kämpfenden deutschen Helden vor
die Seele führte.
Es muß ein merkwürdiges Erwachen gewesen sein, als Friedrich
am Morgen des 1. Juni 1710 im Berliner Schlosse darüber aus
dem Schlummer fuhr, daß das Regiment von Elasenapp unter
seinen Fenstern ihm, dem neuen König, den Eid der Treue schwur.
Wenn am Tage zuvor der Schmerz über den Verlust seines könig¬
lichen Vaters alle anderen Empfindungen in ihm zurückgedrängt
hatte, und wenn die Nacht die Eindrücke des Erlebten zum Teil
wieder verwischt hatte, so regte sich jetzt mit voller Macht in ihm
das Bewußtsein: „Ich bin der König!"
Und königlich war sein Auftreten vom ersten Augenblick seiner
Negierung an. Bald nach der Eidesleistung der Truppen empfing
Friedrich die Generale der Berliner Garnison und redete sie mit
folgenden Worten an: „Wir haben unseren gemeinschaftlichen
König und Herrn verloren und müssen uns darüber zu trösten
suchen. Ich hoffe, Sie werden Mir beistehen, die schöne Armee
zu erhalten, welche Sie Meinem Vater haben bilden helfen. ^ie
werden in Mir einen Herrn finden, der Sie nicht weniger liebt.
Paldamus-Rehorn, Lesebuch. Ausg. E. Teil 7«. 13