Full text: [Teil 4 = (8., 9. und 10. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 4 = (8., 9. und 10. Schuljahr), [Schülerband])

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in die Stadt gehen, Altmutter, und fragen, ob Krieg oder Fried' ist. 
Morgen früh bin ich wieder da." 
„Ja, geh," flüsterte die Kranke in fliegender Hast. „Geh, ehe dein 
Vater kommt, er leidet's sonst nicht." 
„Wen soll ich fragen, Altmutter?" 
„Im Thorturm wohnt der Waibel. Seine Frau ist mein Paten¬ 
kind. Die frag, die weiß es. Sie hat von mir ein silbern Salzfaß zur 
Aussteuer. Das soll sie dir geben zum Zeugnis der Wahrheit, wenn 
Fried' ist im Land. Geh, nimm deines Vaters Spieß mit, der Wolf —" 
Aber der Junge horte nicht mehr. Schon eilte er den Berg hinab der 
Waldschlucht zu. 
Sechs Stunden war es bis zur Stadt. Der Weg dahin führte durch 
einsame Heide und wilden Wald, vorbei an ausgebrannten Mühlen und 
verlassenen Dörfern; dann stieg er hinunter ins breite, offene Thal an 
den großen Strom, wo die Heerstraße lief und die Städte lagen. Durch 
Wald und Heide trabte der Wolf, und durchs Thal zog Mvrdgesindel 
jahraus, jahrein, solches mit der roten Feder und solches mit der Sturm¬ 
haube: Schnapphähne und Soldaten. 
Den Tag über lag die Alte still. Als der Sohn das Mittagmahl 
kochte — es war kein Frauensbild weiter im Haus — fragte er: „Wo 
steckt denn der Bub?" Aber er fragte mehr sich selbst als seine Mutter, 
und diese schwieg. Der Abend dämmerte. Da schaute der Mann besorgt 
nach in Stall und Scheune, blickte die Dorfstraße hinauf und kehrte 
stumm in die Stube zurück. Er setzte sich auf die Ofenbank. Es wurde 
finster. Die Mutter stöhnte. „Wollt Ihr was?" fragte der Sohn von der 
Bank her. 
„Er wird in die Stadt sein," jammerte die Kranke. 
„Der Bub?" rief entsetzt der Mann. 
„Er will fragen, ob Fried' ist im Land." 
„Mutter," schrie der Sohn, „Euch rechn' ich's zu, wenn er mir 
verdirbt!" 
Die Kranke murmelte Unverständliches. Ihre Zähne schlugen zu¬ 
sammen. Beide schwiegen. Es wurde völlige Nacht in der Stube. Nur 
die Augen der Hauskatze leuchteten unter dem Ofen herauf. 
Als der Orion über das Scheunendach schaute, stand der Mann 
ans, nahm das Horn von der Wand und verließ wortlos die Stube. 
Die Katze strich ihm nach bis an die Thür, dann sprang sie ans beu 
Fenstersims. Aber es wehte ein kalter Zug herein. Mit ein paar Sätzen 
war sie wieder am Ofen, legte sich ans den alten Platz, und ihre Augen 
leuchteten nach dem Bette der Sterbenden hinüber. 
Derweil stieg der Orion höher und höher, und jetzt schauten seine 
Sterne in die Waldschlucht hinein gleich unten am Dorf. Wvlfsloch hieß 
sie, und die Leute wußten, warum. Das Sternenlicht drang hinab bis 
ans den schmalen, finstern Grund. Dort lag eine dunkle Masse, fast 
regungslos, Mensch und Tier im Ringen ans Leben und Tod. Oben am 
Eingang zur Schlucht stand der Nachtwächter und spähte hinab. Aber 
der Blick ging über den Knäuel hinweg, und der Kamps war lautlos; 
der sausende Ödem der Ringenden verwehte, ehe der Lnfthauch von dort
	        
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