Full text: [Teil 4 = (8., 9. und 10. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 4 = (8., 9. und 10. Schuljahr), [Schülerband])

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Veranlassung war. Bei der sonst umständlichen Beschreibung der Jagd, 
auf welcher Siegfried ermordet wird, geschieht nur Erwähnung der blumen¬ 
reichen Heide und des kühlen Brunnens unter der Linde. In der Gudrun, 
die eine gewisse feinere Ausbildung zeigt, bricht der Sinn für die Natur- 
etwas mehr durch. Als die Königstochter mit ihren Geführten, zu niedrigem 
Sklavendienste gezwungen, die Gewänder ihrer grausamen Gebieter an 
das Ufer des Meeres trägt, wird die Zeit bezeichnet, wo der Winter sich 
eben gelöst und der Wettgesang der Vogel beginnt. Noch fallen Schnee 
und Regen herab, und das Haar der Jungfrau wird vom rauhen März¬ 
winde gepeitscht. Als Gudrun, ihre Befreier erwartend, das Lager verläßt, 
und nun das Meer beim Ausgang des Morgensternes zu schimmern be¬ 
ginnt, unterscheidet sie die dunkeln Helme und die Schilde der Freunde. 
Es sind wenige Worte, welche dies andeuten, aber sie geben ein anschauliches 
Bild, bestimmt, die Spannung vor einem wichtigen geschichtlichen Ereignis 
zu vermehren. Nicht anders macht es Homer, wenn er die Cyklopeninsel 
schildert und die geordneten Gärten des Alkinous: er will anschaulich 
machen die üppige Fülle der Wildnis, in der die riesigen Ungeheuer leben, 
rind den prächtigen Wohnsitz eines mächtigen Königs. Beide Dichter gehen 
nicht darauf aus, eine für sich bestehende Naturschilderung zu entwerfen. 
Dem schlichten Volksepos stehen die inhaltreichen Erzählungen der 
ritterlichen Dichter des dreizehnten Jahrhunderts entgegen, die eine be¬ 
wußte Kunst übten, und unter welchen sich Hartmann von Aue, Wolfram 
von Eschenbach und Gottfried von Straßburg im Beginne des Jahr¬ 
hunderts so sehr hervorheben, daß man sie die großen und klassischen 
nennen kann. Aus ihren umfangreichen Werken würde man Beweise genug 
von tiefem Gefühl für die Natur, wie es zumal in Gleichnissen ausbricht, 
sammeln können; aber der Gedauke an unabhängige Naturschilderungen 
war auch ihnen fremd. Sie hemmten nicht den Fortschritt der Handlung, 
uni bei der Betrachtung des ruhigen Lebens der Natur stille zu stehen. 
Wie verschieden davon sind die neueren dichterischen Kompositionen! 
Die lyrischen Dichter des dreizehnten Jahrhunderts, wenn sie die 
Minne besingen, reden oft genug von dem milden Mai, dem Gesang der 
Nachtigall, dem Tau, welcher an den Blüten der Heide glänzt: aber immer 
nur in Beziehung der Gefühle, die sich darin abspiegeln sollen. Um 
trauernde Stimmungen zu bezeichnen, wird der salben Blätter, der ver¬ 
stummenden Vögel, der in Schnee vergrabenen Saaten gedacht. Dieselben 
Gedanken, freilich schon und sehr verschiedenartig ausgedrückt, kehren un¬ 
ablässig wieder. Der seelenvolle Walther von der Vogelweide und der 
tiefsinnige Wolfram von Eschenbach, von dem wir leider nur wenige 
lyrische Gesänge besitzen, sind hier als glänzende Beispiele aufzuführen. 
Die Frage, ob der Kontakt mit dem südlichen Italien oder durch 
die Kreuzzüge mit Kleinasien, Syrien und Palästina die deutsche Dicht¬ 
kunst nicht mit neuen Naturbildern bereichert habe, kann im allgemeinen 
nur verneint werden. Alan bemerkt nicht, daß die Bekanntschaft mit dem 
Orient dem Minnegesang eine andere Richtung gegeben habe. Die Kreuz¬ 
fahrer kamen wenig iit nahe Verbindung mit den Sarazenen; ja sie lebten 
selbst mit anderen Völkern, die für dieselbe Sache kämpften, in großer 
Spannung. Einer der ältesten lyrischen Dichter war Friedrich von Hausen.
	        
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