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I. Deutsche und nordische Sage.
Utgardloki auf Thialfi und fragte: „Welche Kunst versteht der junge
Mann da?" „Ich will jeden im Wettlauf besiegen, den du dazu aus¬
ersiehst," entgegnete Thialfi; er war der schnellfüßigste unter allen Männern.
Da führte ihn Utgardloki hinaus zu einer Rennbahn; er rief einen jungen
Burschen herbei, der sich Hugi nannte, und gebot ihm, mit Thialfi urn
die Wette zu laufen. Beim ersten Lauf war Hugi so weit voraus, daß er
am Ende der Bahn sich umwandte, dem Thialfi entgegenzulaufen. Da
sagte Utgardloki: „Du mußt dich besser ausstrecken, Thialfi, wenn du das
Spiel gewinnen willst; doch ist fürwahr noch keiner hierhergekommen, der
mich schneller deuchte als du." Drauf begannen sie den zweiten Lauf. Als
Hugi am Ende der Bahn sich umwandte, war Thialfi noch einen guten
Pfeilschuß weit zurück. Utgardloki sagte: „Das dünkt mich gut gelaufen;
aber ich glaube doch kaum mehr, daß Thialfi das Spiel gewinnen wird."
Beim dritten Laufe war Hugi schon am Ziele angelangt, als Thialfi noch
nicht die Mitte der Bahn erreicht hatte. Da sagten alle, Hugi habe gesiegt.
„In welcher Kunst willst du dich vor uns hervortun, Thor?" fragte
Utgardloki. „Die Menschen machen ja so viel Rühmens von deinen
Großtaten!" Thor versetzte: „Ich getraue mir, jeden im Trinken zu
besiegen." Darauf ging Utgardloki mit ihm in die Halle zurück und befahl
seinem Mundschenken, das Horn zu bringen, woraus seine Hofleute zu trinken
pflegten. Er reichte es Thor und sprach: „Als guter Trinker gilt bei uns,
wer dies Horn auf einen Zug leert; einige trinken es aus den zweiten
Zug aus, keiner aber ist ein so schlechter Trinker, der es nicht in dreien
leerte." Thor betrachtete prüfend das Horn; ziemlich laug schien es ihm,
doch nicht allzugroß, denn er hatte gewaltigen Durst. Da trank er mit
gewaltigen Zügen und wähnte, er brauche nicht eher abzusetzen, als bis
das Horn leer sei. Als ihm aber der Atem ausging, setzte er ab und sah
ins Horn; doch kaum war zu merken, daß aus demselben getrunken sei.
Da sprach Utgardloki: „Ich hätte es nicht geglaubt, wenn man mir gesagt
hätte, daß Thor nicht besser trinken könne. Ich weiß aber, du wirst das
Horn beim zweiten Zuge ausleeren." Thor antwortete ärgerlich gar nichts,
sondern setzte zum zweitenmal das Horn an den Mund und trank noch
gewaltiger als vorher, solange ihm der Atem vorhielt; aber als er absetzen
mußte, schien es ihm, als ob das Getränk in dem Horn sich noch weniger
vermindert hätte als zuvor; doch konnte man das Horn nun tragen, ohne
es zu verschütten. Da sprach Utgardloki: „Wenn du mit dem dritten
Trunk das Horn leeren willst, so muß dieser Zug der größte sein. Doch
wirst du hier bei uns kein so großer Mann heißen können als bei den
Äsen, wenn du bei den anderen Spielen nicht mehr leistest." Zornig setzte
Thor zum drittenmal das Horn an und trank aus allen Kräften, aber es
wollte nicht leer werden, solange er auch trank; endlich mußte er absetzen.
Da sah er zwar, daß er ein gutes Teil des Hornes leergetrunken hatte;