Full text: [Teil 4 = Klasse 6, [Schülerband]] (Teil 4 = Klasse 6, [Schülerband])

44. Jftönig Rudolf in Erfurt. 
107 
Rudolf aber rief mit lauter Stimme: „Es war gut, was ihr getan habt, 
ihr und eure Tiere. Ich aber will euch jetzt selber eine Aufgabe stellen." 
„Der Große befiehlt's und der Kleine tuUs", sagte der Grünrock. „Aber 
vieles kann befohlen werden, was auch der Geschickteste nimmer auszuführen 
vermag." 5 
„Tretet alle weg von diesem Teppiche!" befahl der König. „Man gebe 
mir einen Apfel." Aus dem Gefolge trat der Zwerg des Königs, verneigte 
sich und zog einen roten Apfel aus dem Wamse. „Recht so, Kunrad", sagte der 
König und gab dem Zwerge einen freundlichen'Backenstreich. „Da, Junge", 
befahl Herr Rudolf einem Büblein, das vor den Reitern stand, „nimm diesen 10 
Apfel und lege ihn mitten auf den Teppich!" Der Gassenjunge nahm den 
Apfel, lief in die Mitte des großen Teppichs, biß eilend ein Stück aus der 
Frucht, ehe er sie niederlegte, sprang dann in Sätzen über den Teppich hinaus 
und versteckte sich unter den Beinen der Gaffer. 
„Tropf!" rief der König und ballte die dürre Faust. Dann befahl 15 
er dem Fahrenden: „Greife mir mit deinen Händen den Apfel, ohne daß du 
den Teppich betrittst!" Der Fahrende stand und besann sich. „Das ist unmög¬ 
lich, Herr König!" „Bring mir den Apfel, Fahrender!" wiederholte der König, 
und seine Brauen zogen sich zusammen. „Wenn Ihr mir den Kopf ab¬ 
schlüget auf der Stelle, ich kann's nicht", sagte der Grünrock und schaute mit 20 
kläglichem Gesichte im Kreise umher. „Dann soll ihn der Zwerg holen!" 
rief der König. 
„Wie meinst du das, Vetter?" fragte Kuurad, stolzierte an den Rand 
des Teppichs und wandte das lange, breite Gesicht Herrn Rudolf zu. 
„Es ist mir das ein leichtes Ding, nur weiß ich noch nicht, auf welche Art 25 
es gehen soll." „Das ist's eben!" lachte der König. „Vetter", sagte der 
Zwerg, „Vetter, das haben andere auch schon erfahren. Daß es gehen wird, 
hast du auch gewußt, als du aufs Marchfeld zogest, aber wie es gehen werde?" 
„Schweig", donnerte der König, „und hole den Apfel!" „Eia, Vetter, 
du bist grob", klagte der Kleine. „Ich kenne dich gar nicht mehr. Wie ein 30 
Apriltag im Jahre!" Und eilig bückte er sich und rollte den Teppich auf 
bis zur Mitte, griff nach dem Apfel und trug ihn zwischen den Finger¬ 
spitzen zu Herrn Rudolf. 
„Steck ihn dem Fahrenden ins Maul!" befahl dieser und wandte sich. 
„Kannst dir das Kunststück des Königs merken, Grünrock, zu deinen andern 35 
und singen von Prag bis Brabant davon!" sagte er, winkte gnädig mit der 
Rechten und schritt langsam neben dem Zelter seiner Tochter durch das 
jubelnde Volk zurück in die Burg. ri. Sperr*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.