vorgeschlagenen Kanons answendig zu lernender Gedichte.
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Da hört er die Worte sie sagen:
„Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen."
15. Und die Angst beflügelt den eilen¬
den Fuß,
Ihn jagen der Sorge Qualen;
Da schimmern in Abendrots Strahlen
Von ferne die Zinnen von Syrakus,
Und entgegenkommt ihm Philostratus,
Des Hauses redlicher Hüter.
Der erkennet entsetzt den Gebieter:
18. Und die Sonne geht unter; da steht
er am Thor
Und sieht das Kreuz schon erhöhet,
Das die Menge gaffend umstehet;
An dem Seile schon zieht man den Freund
empor,
Da zertrennt er gewaltig den dichten
Chor:
„Mich, Henker!" ruft er, „erwürget!
Da bin ich, für den er gebürget!"
16. „Zurück! du rettest den Freund nicht
mehr,
So rette das eigene Leben!
Den Tod erleidet er eben.
Von Stunde zu Stunde gewartet' er
Mit hoffender Seele der Wiederkehr,
Ihm konnte den mutigen Glauben
Der Hohn des Tyrannen nicht rauben." —
17. „Und ist es zu spät, und kann ich
ihm nicht
Ein Retter willkommen erscheinen,
So soll mich der Tod ihm vereinen!
Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht,
Daß der Freund dem Freunde gebrochen
die Pflicht;
Er schlachte der Opfer zweie
Und glaube an Liebe und Treue!"
19. Und Erstaunen ergreifet das Volk
umher;
In den Armen liegen sich beide
Und weinen vor Schmerzen und Freude.
Da sieht man kein Auge thränenleer,
Und zum Könige bringt man die Wunder¬
mär' ;
Der fühlt ein menschliches Rühren,
Läßt schnell vor den Thron sie führen.
20. Und blicket sie lange verwundert an;
Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen,
Ihr habt das Herz mir bezwungen;
Und die Treue, sie ist doch kein leerer
Wahn!
So nehmet auch mich zum Genossen an:
Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der dritte!"
Äas Glück von EdenhaU.
Von Ludwig Uh land. (1843.)
1. Von Edenhall der junge Lord
Läßt schmettern Festdrommetenschall,
Er hebt sich an des Tisches Bord
Und ruft in trunkner Gäste Schwall:
„Nun her mit dem Glücke von Edenhall!"
2. Der Schenk vernimmt ungern den
Spruch,
Des Hauses ältester Vasall,
Nimmt zögernd aus dem seidnen Tuch
Das hohe Trinkglas von Krystall,
Sie nennen's: Das Glück von Edenhall.
3. Darauf der Lord: „Dem Glas zum
Preis
Schenk roten ein aus Portugal!"
Mit Händezittern gießt der Greis,
Und purpurn Licht wird überall,
Es strahlt aus dem Glücke von Edenhall.
4. Da spricht der Lord und schwingt's
dabei:
„Dies Glas von leuchtendem Krystall
Gab meinem Ahn am Quell die Fei;
Drein schrieb sie: Kommt dies Glas zu Fall,
Fahr wohl dann, o Glück von Edenhall!
5. Ein Kelchglas ward zum Los mit
Fug
Dem freud'gen Stamm von Edenhall!
Wir schlürfen gern in vollem Zug,
Wir läuten gern mit lautem Schall;
Stoßt an mit dem Glücke von Edenhall!"
6. Erst klingt es milde, tief und voll,
Gleich dem Gesang der Nachtigall,
Dann wie des Waldstroms laut Geröll,
Zuletzt erdröhnt wie Donnerhall
Das herrliche Glück von Edenhall.
7. „Zum Horte nimmt ein kühn Ge¬
schlecht
Sich den zerbrechlichen Krystall;
Er dauert länger schon als recht;
Stoßt an! mit diesem kräft'gen Prall
Versuch' ich das Glück von Edenhall!"
8. Und als das Trinkglas gellend
springt,
Springt das Gewölb' mit jähem Knall,
Und aus dem Riß die Flamme dringt; '
Die Gäste sind zerstoben all'
Mit dem brechenden Glücke von Edenhall.