78 III. Aus dem Leben großer deutscher Männer und Frauen.
wir deutlich. Es hat nie Schwierigkeit bereitet, seine Gedichte innerlich
zusammenhängend zu ordnen. Am Pose der Babenberger, als Schüler
Reinmars des Alten, wurde Walther zun: Dichter; hier sang er seine
schlichten Frühlingslieder, seine entzückenden ersten Liebesgedichte, die
der „niederen" Minne, d. h. der wahren Liebe des jungen Dichters
zu einer Tochter des Volkes, den Ursprung verdankten; hier wagte er dann
auch, an Berühmtheit und Selbstgefühl gewachsen, den Blick der Sitte
der Zeit gemäß zu einer über ihm stehenden Frau zu erheben, die iim
zwar freundlich behandelte, aber nicht übermäßig viel Puld erwies: die
Ausbildung der Liebesdialektik in seinen Liedern ist die poetische Folge
dieses Verhältnisses. Darauf trieb ihn nach dem Tode Friedrichs des
Katholischen von Österreich die wohl durch Neider verschuldete „An¬
gnade" seines Nachfolgers Leopold VII. in die Fremde; er wird, zunächst
an Philipp von Schwaben, dann an Otto von Braunschweig, endlich an
Kaiser Friedrich II. sich anschließend, der große politische Dichter seiner
Zeit, der nach des päpstlich gesinnten Thomasin von Zerklaeres Klage
Tausende verführt und betört; aber sein Glück macht er nicht, weder
am Kaiserhofe, noch auf der Wartburg, wo er wiederholt bei dem
sangesfrohen Landgrafen Permann von Thüringen einkehrt, vielleicht,
daß er zu herb und wahrheitsliebend war; er bleibt der arme fahrende
Sänger, der alle Lande vom Po bis zur Trave, von der Seine bis
zur Mur durchfährt, dem der Winter die Zehen erfriert und der: ein
ungastliches Paus wohl mit einem Trunk-Wassers entläßt. Einmal
kehrt er auch in die Peimat zurück, aber die Puld Leopolds findet er
auch jetzt nicht. Da endlich erbarmt sich Kaiser Friedrich II. des Ge¬
alterten und verleiht ihm ein kleines Lehen in der Würzburger Gegend,
hier darf er zufrieden sterben. Seine späteren Minnelieder sind fast
nur noch Reflexion, immer mehr überwiegt bei ihm die Spruchpoesie,
die in alle Verhältnisse deutschen Lebens eingreift, lehrt und straft,
richtet und klagt, um so mehr, je mehr die deutsche „Zucht" im aus¬
gehenden Pohenstaufenzeitalter abnimmt. And die Klage über die Zeit
verwandelt sich in die Klage über die Nichtigkeit des menschlichen
Lebens überhaupt, auch die deutsche Dichtung erhält in Walthers Elegie
„O weh, wie sind verschwunden alle meine Zahr'" einen Ton jenes
natürlichen Pessimismus, der die ganze Weltliteratur durchklingt. Doch
der mittelalterliche Mensch verzweifelt nicht, er wendet den Blick zun:
Pimmel empor — in Walthers Kreuzliedern, die wohl kaum für die
Teilnahme an dem Kreuzzug Friedrichs II. sprechen, aber sicher durch ihn
veranlaßt sind, siegt die gläubige Sehnsucht über alles Erdenleid.
Adolf Bartels.