Full text: Gedichtsammlung aus den letzten 150 Jahren deutscher Dichtung (Teil 3, [Schülerband])

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Hölderlin. 
Fernher tönt und fröhliche Träume den Lieblingen sendet. 
Schon auch sprossen und blühn die Blumen mählich, die goldnen; 
Auf zertretenem Feld, von frommen Händen gewartet, 
ns Grünet der Olbaum auf, und auf Kolonos' Gefilden 
Nähren friedlich wie sonst die athenischen Rosse sich wieder. 
Aber der Muttererd' und dem Gott der Wogen zu Ehren 
Blühet die Stadt jetzt auf, ein herrlich Gebild, dem Gestirn gleich 
Sicher gegründet, des Genius Werk, denn Fesseln der Liebe 
120 Schafft er gerne sich so, so hält in großen Gestalten, 
Die er selbst sich erbaut, der Jmmerrege sich bleibend. 
Sieh! und dem Schaffenden dienet der Wald, ihm reicht mit den andern 
Bergen nahe zur Hand der Pentele Marmor und Erze. 
Aber lebend wie er und froh und herrlich entquillt es 
iss Seinen Händen, und leicht wie der Sonne gedeiht das Geschäft ihm. 
Brunnen steigen empor, und über die Hügel in reinen 
Bahnen gelenkt, ereilet der Quell das glänzende Becken; 
Und umher an ihnen erglänzt gleich festlichen Helden 
Am gemeinsamen Kelch die Reihe der Wohnungen, hoch ragt 
i3o Der Prytanen Gemach, es stehn Gymnasien offen, 
Göttertempel entstehn, ein heiligkühner Gedanke 
Steigt, Unsterblichen nah', das Olympion auf in den Äther- 
Aus dem seligen Hain; noch manche der himmlischen Hallen! 
Mutter Athene, dir auch, dir wuchs dein herrlicher Hügel 
iss Stolzer aus der Trauer empor und blühte noch lang' dem 
Gotte der Wogen und dir, und deine Lieblinge sangen 
Frohversammelt noch oft am Vorgebirge den Dank dir. 
O die Kinder des Glücks, die frommen! wandeln sie fern nun 
Bei den Vätern daheim, und der Schicksalstage vergessen, 
uv Drüben am Lethestrom, und bringt kein Sehnen sie wieder? 
Sieht mein Auge sie nie? ach! findet über den tausend 
Pfaden der grünenden Erd', ihr göttergleichen Gestalten, 
Euch das suchende nie, und vernahm ich darum die Sprache, 
Darum die Sage von euch, daß immertrauernd die Seele 
i45 Vor der Zeit mir hinab zu euern Schatten entfliehe? 
Aber näher zu euch, wo eure Haine noch wachsen, 
Wo sein einsames Haupt in Wolken der heilige Berg hüllt, 
Zum Parnassos will ich, und wenn, im Dunkel der Eiche 
Schimmernd, mir Irrendem dort Kastalias Quelle begegnet, 
iss Will ich, mit Thränen gemischt, aus blütenumdufteter Schale 
Dort auf keimendes Grün das Wasser gießen, damit doch, 
O ihr Schlafenden all, ein Totenopfer euch werde. 
Gedichte. S. 128 ff.
	        
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