Full text: Gedichtsammlung aus den letzten 150 Jahren deutscher Dichtung (Teil 3, [Schülerband])

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Lenau. 
21. Der Hauptmann sitzt, auf seinen Arm 
Das braune Antlitz senkend, 
Er scheint entrückt dem lauten Schwarm, 
Wie an sein Schicksal denkend. 
22. Das Feuer seiner Augen bricht 
Hindurch die finstern Brauen, 
Wie nachts im Wald der Flamme Licht 
Durch Büsche ist zu schauen. 
23. Wächst aber Sang und Sporngeklirr 
Nun kühner den Genossen, 
Seh' ich das leere Weingeschirr 
Ihn kräftig niederstoßen. 
24. Ein Mädel sitzt an seiner Seit', 
Scheint ihn als Kind zu ehren 
Und gerne hier der Fröhlichkeit 
Des Tanzes zu entbehren. 
25. Auf ihren Reizen ruht sein Blick 
Mit innigem Behagen, 
Zugleich auf seines Kinds Geschick 
Mit heimlichem Beklagen. — 
26. Stets wilder in die Seelen geigt 
Nun die Zigeunerbande, 
Der Freude süßes Rasen steigt 
Laut auf zum höchsten Brande, 
27. Und selbst des Hauptmanns Angesicht 
Hat Freude überkommen; — 
Da dacht' ich an das Hochgericht 
Und ging hinaus beklommen. 
28. Die Heide war so still, so leer, 
Am Himmel nur war Leben; 
Ich sah der Sterne strahlend Heer, 
Des Mondes Völle schweben. 
29. Der Hauptmann auch entschlich demHaus; 
Mit wachsamer Gebärde 
Rings horcht' er in die Nacht hinaus, 
Dann horcht' er in die Erde, 
30. Ob er nicht höre schon den Tritt 
Ereilender Gefahren, 
Ob leise nicht der Grund verriet' 
Ansprengende Husaren. 
31. Er hörte nichts; da blieb er stehn, 
Um in die hellen Sterne, 
Um in den hellen Mond zu sehn, 
Als möcht' er sagen gerne: 
32. „O Mond im weißen Unschuldskleid! 
Ihr Sterne dort unzählig! 
In eurer stillen Sicherheit, 
Wie wandert ihr so selig!" 
33. Er lauschte wieder — und er sprang 
Und ries hinein zum Hause, 
Und seiner Stimme Macht verschlang 
Urplötzlich das Gebrause. 
34. Und eh' das Herz mir dreimal schlug, 
So saßen sie zu Pferde, 
Und auf und davon im schnellsten Flug, 
Daß rings erbebte die Erde. 
35. Doch die Zigeuner blieben hier, 
Die feurigen Gesellen, 
Und spielten alte Lieder mir 
Rakoczys, des Rebellen. Werke, i, ©. 144 ff. 
272. Die 
Rings im Kreise lauscht die Menge 
Bärtiger Magyaren froh; 
Aus dem Kreise rauschen Klänge: 
Was ergreifen die mich so? — 
6 Tiefgebräunt vom Sonnenbrände, 
Rotgeglüht von Weinesglut, 
Spielt da die Zigeunerbande 
Und empört das Heldenblut. 
„Laß die Geige wilder singen! 
10 Wilder schlag das Zimbal du!" 
Ruft der Werber, und es klingen 
Werbung. 
Seine Sporen hell dazu. 
Der Zigeuner hört's, und voller 
Wölkt sein Mund der Pfeife Dampf; 
iS Lauter immer, immer toller 
Braust der Instrumente Kampf, 
Braust die alte Heldenweise, 
Die vor Zeiten wohl mit Macht 
Frische Knaben, welke Greise 
20 Hinzog in die Türkenschlacht. 
Wie des Werbers Augen glühn! 
Und wie all' die Säbelnarben,
	        
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