342
66. Die 5rau und die Sprache.
da stehen in Pergament und Leder
vornan die frommen Schwabenväter
Andrea, Bengel, Rieger zween
samt Ottinger sind da zu sehn.
5 Wie sie die goldnen Namen liest,
noch goldener ihr Mund sie küßt,
wie sie rührt an Hillers Harfenspiel —
horch! klingt cs nicht? so fehlt nicht viel . . ."
Wenn wir nun noch die von Mörike mit großer Vorliebe gepflegten
10 Gelegenheitsgedichte erwähnen, von denen einige, „An Hermann" und vor
allem „An Wilhelm Hartlaub" gleichfalls einen hohen poetischen Wert besitzen,
so ist die ganze vielfältige Fülle der Mörikeschen Gedichte wenigstens in den
Umrissen angedeutet. — Der erste Erfolg der Veröffentlichung der „Gedichte"
stand in keinem Verhältnis zu ihrem Wert. Erst 1848 wurde die zweite,
15 1856 die dritte und 1867 die vierte Auflage notwendig. Mehrere Jahrzehnte
vergingen seit Mörikes Tod, ehe seine Gedichte vor allem dank kongenialen
Vertonungen, vornehmlich denen Hugo Wolfs, die gebührende Verbreitung
fanden. Neuerdings ist Mörike sogar eine Zeitlang Mode gewesen; kein
schlechtes Zeichen der Zeit. Alfred Biese?
20 66. Die Frau und die Sprache.
Freier in ihrem gebundenen Wirken,
reicher als er in des Wissens Bezirken
und in der Dichtung unendlichem Kreis.
Schiller, Würde der Frauen.
25^7^ie schriftstellerische Tätigkeit und der sprachliche Ausdruck des weiblichen
^ Geschlechts hängen eng mit seiner geistigen Eigenart zusammen. Weil
sich die Durchschnittsfrau nicht zu tieferen Studien hingezogen fühlt, zeigt
sie auch selten das Bestreben, aus wissenschaftlichem Gebiete mit dem Manne
in Wettbewerb zu treten. Gelehrte Frauen haben nach der Ansicht des
30 Volkes ihren Beruf verfehlt und werden darum als Blaustrümpfe bespöttelt.
Wenn aber neuerdings manche Mädchen das Gymnasium und die Hochschule
besuchen, so geschieht dies meist aus Selbsterhaltungstrieb im Kampfe ums
Dasein und ist als Ausnahme zu betrachten, gleich der Beteiligung des zarteren
Geschlechts an den humanistischen Bestrebungen im Zeitalter der Ottonen
35 und der Reformation. Frauen des IO. Jahrhunderts, wie die Nonne Ros¬
witha von Gandersheim, die in lateinischer Sprache dichtete, und die Herzogin
Hadwig von Schwaben, die sich von dem Sankt Galler Mönche Ekkehard