Metadata: Lesebuch für die 7. Klasse der Volksschulen in München (Klasse 7, [Schülerband])

105. Aus dem Tagebuche eines Nordpolfahrers. 
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Süden zu wehen und wir ruderten nördlich um die Tiere herum, um ihnen aus 
dem Winde zu kommen. Ab und zu hob das Cier, welches Wache stand, den Kopf, 
sah uns aber schwerlich und wir glitten weiter. Bald waren wir so nahe, daß 
wir vorsichtig rudern mußten. Der erste meiner Gefährten führte die Ruder, während 
der zweite sich vorne mit der Barpune bereit hielt und ich hinter ihm mit 
der Büchse. 
Sobald das Wachtier den Kopf hob, wurden die Ruder angehalten und wir 
blieben unbeweglich; dann sank der Kopf wieder und neue Buderschläge brachten 
uns vorwärts. 
Die Wale lagen dicht gedrängt auf einer kleinen Scholle, alte und junge durch— 
einander. Es waren schwere Fleischkolosse. Ab und zu fächelte sich eins der Tiere 
mit dem Schweife hin und her über die Fleischmasse; dann lag es wieder still auf 
dem Rücken oder auf der Seite. Immer vorsichtiger glitten wir näher. Während 
ich mit der Büchse bereit saß, saßte der Harpunier mit festem Griffe den Schaft der 
harpune. Im selben Augenblicke, da das Boot gegen die Scholle stieß erhob er 
sich und die Harpune sauste durch die Luft, traf aber zu hoch, prallte an der zähen 
haut ab und tanzte über den Rücken der Tiere. 
Jetzt kam Leben in die Gesellschaft. Zehn bis zwölf ungeheure, häßliche 
Köpfe mit gewaltigen Hauern und groben Schnauzborsten erhoben sich mit einem 
Male gegen uns; die Fleischberge drehten sich mit unbegreiflicher Schnelligkeit herum 
und kamen watschelnd mit erhobenen Köpfen unter hohlem Bellen nach dem Rande 
der Eisscholle, wo wir lagen. Es war ein überwältigender Anblick. 
Ich riß die Büchse an die Wange und brannte auf einen der größten Köpfe 
los. Es gab einen Ruck; das Tier taumelte und fiel vornüber ins Wasser. Jetzt 
warf sich die ganze Gesellschaft in die Fluten, so daß sie ringsum hoch aufspritzten. 
Alles war im Laufe einiger Sekunden geschehen. 
Aber bald kamen sie wieder zum Vorschein, ums Boot herum, ein Kopf immer 
größer und häßlicher als der andere, die Jungen dicht daneben. Sie standen auf- 
recht im Wasser, bellten und lärmten, daß die Luft bebte, warfen sich nach vorn 
auf uns zu, auf die Seite und wieder in die Höhe und neues Bellen erfüllte die 
Luft. Sie wälzten sich herum und verschwanden mit gewaltigem Rauschen; dann 
kamen sie wieder an die Oberfläche. Das Wasser kochte und schäumte weit hinaus; 
es war, als wenn die bisher so schweigsame Eiswelt mit einem Schlage in tobende 
Raserei versetzt worden sei. 
Jeden Augenblick mußte man erwarten, einen Walroßzahn oder auch zwei 
durchs Boot zu bekommen oder gehoben und durch die Luft geschleudert zu werden; 
das war wohl das mindeste, was nach solchem Spektakel geschehen mußte. Allein 
der Tumult dauerte fort und das Gefürchtete geschah nicht. 
Ich erlegte noch ein zweites und drittes Tier und meine Begleiter brachten 
sie mit den Harpunen in Sicherheit. Hierauf schleppten wir unsere Beute nach einer 
Eisscholle, waren aber noch lange von Walrossen umgeben. Alle Augenblicke ver— 
nahmen wir zwei oder drei aufeinanderfolgende heftige Stöße von unten gegen das 
Eis und dann brach plötzlich mit einem Krach ein riesiger Kopf durch die Scholle. 
Er blieb dort eine Zeitlang schnaubend und ächzend, so daß man es weithin hören 
konnte, blickte uns unverwandt mit bösen Augen an und verschwand hierauf 
wieder. 
Gleich darauf kam unser Schiff herbei und wir gelangten samt den erlegten 
CTieren glücklich wieder an Bord.
	        
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