Full text: [Teil 8 = Klasse 2, [Schülerband]] (Teil 8 = Klasse 2, [Schülerband])

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vor dem Pförtchen liegt ein Kahn, den löset und fahret zum andern 
Ufer. Seid ihr glücklich hinüber, so gehet eilends den jensenigen Fuß⸗ 
pfad nach Gießen. In Gießen treffe ich euch, so Gott will, wieder.“ 
Er drängte die fragende Frau vorwärts, bis sie zitternd vollführte, was 
er befahl. Dann faßte er Thasso an seiner Kette mit der linken Hand, 
mit der rechten aber nicht, wie sonst, die Peitsche, sondern das Schwert 
und eilte auch nicht aufs Rathaus, sondern auf den Markt. 
Dort sah er die Bürger bereits gewaffnet, zu Hunderten eng ge— 
schart. Aber auch das Rathaus war schon dicht umzingelt von fremden 
Rittern und Reisigen. Vorsichtig schlich sich Meister Richwin in die 
hinteren Reihen der Bürger, die gleichfalls Gefahr geahnt hatten und 
herbeigeeilt waren, um ihren Ratsherren beizustehen. Vor den Bürgern 
stand Graf Johann von Solms in glänzendem Harnisch, umgeben von 
zwanzig Rittern, das Reichspanier in der Hand, und verkündete, er sei 
gekommen in des Kaisers Namen, um Frieden zu stiften zwischen den 
weiland verjagten Geschlechtern und dem neuen zünftlerischen Rate. 
Keinem werde ein Leid geschehen, am wenigsten seinen guten Freunden, 
den Ratsherren drinnen im Rathause. Friedliche Sühne sei alles, was 
er fordere im Namen des Kaisers. Ein neues, reicheres Gedeihen der 
Stadt, eine Mehrung ihrer Vorrechte werde die Frucht dieses schönen 
Tages sein. Als treuer Freund und Nachbar ersuche er darum die 
Bürger, die Waffen abzulegen, welche sie voreilig für ihre Obrigkeit er— 
griffen hätten; denn dieser drohe zur Stunde nicht die mindeste Gefahr. 
„Zur Stunde? Ja!“ sprach Richwin zu den Nächststehenden; „aber 
ob nicht in der folgenden Stunde? Behaltet die Waffen, bis die Rats— 
leute wieder frei unter uns stehen!“ Doch schon sah er, daß die Vorderen, 
gewonnen durch des Grafen süßes Wort, die Schwerter einsteckten und 
die Spieße nach Hause trugen. Die Männer aber, zu welchen Richwin 
geredet, schalten ihn, meinten, sein Platz sei doch auch vielmehr auf dem 
Rathause als hier auf dem Markte, und ob er denn immer der gleiche 
bissige Hund bleiben wolle, der die besten Freunde der Stadt anbelle 
und die Bürger untereinander hetze. 
Da Richwin solchergestalt sah, daß alles verloren sei, machte er 
sich eiligst davon, gewann noch zur rechten Frist das Hinterpförtchen an 
der Lahn und schwamm mit dem Hunde durch den Fluß, weil der 
Nachen, welcher seine Frau gerettet, nun am andern Ufer stand. Nach 
wenigen Stunden erreichte er die Seinigen und fand in Hessen eine 
sichere Zuflucht; denn Landgraf Hermann war dem Grafen Johann feind 
geworden nach der Schlacht bei Wetzlar wegen der eigenmächtig be— 
gnadigten Gefangenen. 
Ins Hessenland aber drang bald eine neue Mär aus der Reichs— 
stadt. Der Graf von Solms hatte, nachdem er den Bürgern die Waffen 
aus der Hand geschmeichelt, den zünftlerischen Rat in den Turm ge—
	        
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