Von seiner Höhe sieht man am Morgen Jerusalem im Sonnenlicht,
den Tempelplatz, die Mauern, Zion und das Gewirr der Häuser. Da
begreift man die Schönheit der zerstörten Stadt und die Tränen, die
über sie vergossen.
Nach der andern Seite blickt das Auge über schwärzliches Gebirge
ins Land hinab. Am Horizont die duftigen Höhen sind die Gebirge
Moabs, und der blaue See ist das Tote Meer. Und die Aue mit
waldigem Grün, das ist die Jordanebene. Wie schön, wie schön!
Dort möchte ich sein, weit, weit weg von der Stadt, die der Seele
Schmerz bereitet.
Die Sehnsucht nach dem Jordan, das zunehmende Verlangen, seine
Wellen rauschen zu hören, seine Ufer zu betreten, die Hand in sein
heiliges Naß zu tauchen, Lippen und Stirn zu netzen, mag eine Abart
des Heimwehs gewesen sein, denn wie Heimweh blieb der Anblick des
fernen Jordantales vom Ölberge aus im Gemüte haften.
Es wurde allerdings viel geredet von den Beschwerden, die ein
Ausflug nach dem Jordan macht, und gesagt, die Ausbeute stehe in
keinem Verhältnis zu den Kosten und Enttäuschungen; allein gewaltiger
als vernunftkühler Rat ist heißer Wunsch des Herzens. — „Jordan —
Johannes," sprach das Herz und blätterte rückschauend in der alten
Bilderbibel des elterlichen Hauses, worin der Jordan abgebildet war
und Johannes, den Heiland taufend.
2.
Wir brachen früh am Morgen auf. Die Sonne hatte sich eben
erhoben, und schon war es lebendig in der Stadt. Landleute zogen mit
ihren Erzeugnissen daher. Denn um die Osterzeit herbergt Jerusalem
Tausende von Pilgern, und viel gehört dazu, die Hungrigen zu speisen.
Ein Maler hat nur nötig, sich einen Platz auszusuchen, von dem er ein
Stück Straße gewahrt, das er als Umgebung benutzt, die ununterbrochen
von wechselnden Figurenbildern belebt wird. Mit Gemüsen kommen
Männer, Körbe tragen einige, worin Tauben und Geflügel; goldige
Zitronen und glutgelbe Apfelsinen bringen andere. Auf Kamelen reiten
braune Syrier herein, und in den engen Gassen weichen die Fu߬
wanderer den breittretenden Ungetümen sorglich aus. Wir waren vier
Deutsche, ein Dragoman und ein Beduine mit seiner langen Flinte über
dem Rücken und seinen blankbeschlagenen Pistolen in der Leibbinde.
Der Weg nach Jericho und dem Jordan führt zunächst durch die
Senkung zwischen dem Ölberge und dem Berge des Ärgernisses, der
rechts bleibt.
Langsam steigt die steinige Straße an. Nach nicht gar langem Ritt
erreichen wir ein Kirchlein, das von einigen Häusern und lebendigem
Grün umgeben ist. Bethphage heißt die Stätte. Weiterhin wird der