Full text: [[Abteilung 1] = Abteilung für Tertia und Untersekunda in einem Bande, [Schülerband]] ([Abteilung 1] = Abteilung für Tertia und Untersekunda in einem Bande, [Schülerband])

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C. Didaktisch-epische Dichtung. X. Allegorien und Rätsel. 
122. Rätsel. 
Ged. 1801—2 von Friedrich Schiller. 
1. 
1. Von Perlen baut sich eine Brücke 
Hoch über einen grauen See; 
Sie baut sich auf im Augenblicke 
Und schwindelnd steigt sie in die Höh'. 
2. Der höchsten Schiffe höchste Masten 
Ziehn unter ihrem Bogen hin, 
Sie selber trug noch keine Lasten 
Und scheint, wie du ihr nahst, zu fliehn. 
3. Sie wird erst mit dem Strom und 
schwindet, 
Sowie des Wassers Flut versiegt. 
So sprich, wo sich die Brücke findet, 
Und wer sie künstlich hat gefügt! 
2. 
Es führt dich meilenweit von dannen 
Und bleibt doch stets an einem Ort, 
Es hat nicht Flügel auszuspannen 
Und trägt dich durch die Lüfte fort; 
Es ist die allerschnellste Fähre, 
Die jeiuals einen Wandrer trug, 
Und durch das größte aller Meere 
Trägt es dich mit Gedankenstug; 
Ihm ist ein Augenblick genug. 
3. 
1. Auf einer großen Weide gehen 
Viel tausend Schafe silberweiß; 
Wie wir sie heute wandeln sehen, 
Sah sie der allerältste Greis. 
2. Sie altern nie und trinken Leben 
Aus einem unerschöpsten Born; 
Ein Hirt ist ihnen zugegeben 
Mit schön gebognem Silberhorn. 
3. Er treibt sie aus zu goldnen Toren, 
Er überzählt sie jede Nacht 
Und hat der Lämmer kein's verloren, 
So oft er auch den Weg vollbracht. 
4. Ein treuer Hund hilft sie ihm leiten, 
Ein muntrer Widder geht voran. 
Die Herde, kannst du sie mir deuten? 
Und auch den Hirten zeig' mir an! 
4. 
Es steht ein groß, geräumig Haus 
Auf unsichtbaren Säulen 
Es mißt's und geht's kein Wandrer aus, 
Und keiner darf drin weilen; 
Nach einem unbegriffnen Plan 
Ist es mit Kunst gezimmert, 
Es steckt sich selbst die Lampe an, 
Die es mit Pracht durchschimmert; 
Es hat ein Dach, krystallenrein, 
Von einem einz'gen Edelstein — 
Doch noch kein Auge schaute 
Den Meister, der es baute. 
5. 
Zwei Eimer sieht man ab und auf 
In einem Brunnen steigen, 
Und schwebt der eine voll herauf, 
Muß sich der andre neigen. 
Sie wandern rastlos hin und her, 
Abwechselnd voll und wieder leer, 
Und bringst du diesen an den Mund, 
Hängt jener in dem tiefsten Grund; 
Nie können sie mit ihren Gaben 
In gleichem Augenblick dich laben. 
6. 
Kennst du das Bild auf zartem Grunde? 
Es gibt sich selber Licht und Glanz. 
Ein andres ist's zu jeder Stunde, 
Und immer ist es frisch und ganz. 
Im engsten Raum ist's ausgeführet, 
Der kleinste Nahmen faßt es ein; 
Doch alle Größe, die dich rühret, 
Kennst du durch dieses Bild allein. 
Und kannst du den Krystall mir nennen? 
Ihm gleicht an Wert kein Edelstein; 
Er leuchtet, ohne je zu brennen, 
Das ganze Weltall saugt er ein. 
Der Himmel selbst ist abgemalet 
In seinem wundervollen Ring; 
Und doch ist, was er von sich strahlet, 
Noch schöner, als was er empfing. 
7. 
1. Ein Gebäude steht da von uralten 
Zeiten, 
Es ist kein Tempel, es ist kein Haus; 
Ein Reiter kann hundert Tage reiten, 
Er umwandert es nicht, er reitet's nicht 
aus.
	        
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