Full text: [Teil 5 = Klasse 5, [Schülerband]] (Teil 5 = Klasse 5, [Schülerband])

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S. von Himmel und Hölle. 
ja keinen einzigen Menschen mehr. Meine Bekannten sind schon längst alle 
gestorben. Die Menschen, die jetzt leben müssen, machen so närrische Streiche 
und schwatzen so sonderbares Zeug, daß es einem schwindlig wird, wenn 
man's liest." Darauf schwieg er und gähnte; denn es war sehr langweilig, 
Sund nach einer Weile sagte er wieder: „Mit meinem vielen Gelde weiß ich 
auch nichts anzufangen. Wozu hab' ich's eigentlich? Man kann sich hier 
doch nichts kaufen. Wie ein Mensch nur so dumm sein kann und sich Geld 
im Himmel wünschen!" Dann stand er auf, öffnete das Fenster und sah 
hinaus. Aber obschon es in dem Schlosse überall hell war, so war es doch 
10 draußen stockdunkel, stockdunkel, so daß man die Hand vorm Auge nicht 
sehen konnte, stockdunkel, Tag und Nacht, jahraus, jahrein und so still 
wie auf dem Kirchhof. Da schloß er das Fenster wieder und setzte sich aufs 
neue auf seinen Großvaterstuhl, und jeden Tag stand er ein- oder zweimal 
auf und sah wieder hinaus. Aber es war noch immer so. Und immer früh 
15 Schokolade und mittags einen Tag um den andern Kalbsbraten mit Apfelmus 
und Milchreis mit Bratwürsten und nachher rote Grütze, immerzu, immerzu, 
einen Tag wie den andern. 
Als jedoch tausend Jahre vergangen waren, klirrte der große eiserne 
Riegel am Tor, und Petrus trat ein: „Nun", fragte er, „wie gefällt es dir?" 
20 Da wurde der reiche Mann bitterböse: „Wie mir's gefällt? Schlecht 
gefällt mir's, ganz schlecht! so schlecht, wie es einem nur in so einem nichts¬ 
würdigen Schlosse gefallen kann! Wie kannst du dir nur denken, daß man 
es hier tausend Jahre aushalten kann! Man hört nichts, man sieht nichts; 
niemand bekümmert sich um einen. Nichts wie Lügen sind es mit eurem 
25 vielgepriesenen Himmel und mit eurer ewigen Glückseligkeit. Eine ganz 
erbärmliche Einrichtung ist es!" Da blickte ihn Petrus verwundert an und 
sagte: „Du weißt wohl gar nicht, wo du bist? Du denkst wohl, du bist 
im Himmel? In der Hölle bist du. Du hast dich ja selbst in die Hölle 
gewünscht. Das Schloß gehört zur Hölle." „Zur Hölle?" wiederholte der 
80 Reiche erschrocken. „Das hier ist doch nicht die Hölle? Wo sind denn der 
Teufel und das Feuer und die Kessel?" „Du meinst wohl", entgegnete 
Petrus, „daß die Sünder jetzt immer noch gebraten werden wie früher? 
Das ist schon lange nicht mehr so! Aber in der Hölle bist du, verlaß dich 
darauf, und zwar recht tief drin, so daß du einen schon dauern kannst. Mit 
35 der Zeit wirst du's wohl selbst inne werden." 
Da fiel der reiche Mann entsetzt rückwärts in seinen Großvaterstuhl, 
hielt sich die Hände vors Gesicht und schluchzte: „In der Hölle, in der Hölle! 
Ich armer, unglücklicher Mensch! Was soll aus mir werden?"
	        
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