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19. Der Rosengarten von Worms.
Da schleudert Surtur Feuer in die Welt. Die Hallen der Äsen lodern
empor; Walhalla brennt, Midgard brennt, auch in Riesenheim schlagen die
Flammen auf, und glühroter Feuerschein leuchtet aus allen Enden.
Noch steht die Weltesche mitten im Feuermeere; aber schon lecken die
5 roten Flammenzungen an ihrem Stamme empor; schon brennt ihre Krone
über Asgard; gleich Millionen Kerzen strahlen ihre Zweige, und es kracht
und schwankt der gewaltige Baumriese, und er neigt sich und stürzt prasselnd
in die Flammen, daß die Funken hoch zum Himmel aufsprühen. Die Erde
sinkt in das siedende Meer, und Feuer verzehrt die ganze Welt. —
0 Gustav Schalk.
19. Der Rosengarten von Worms.
1. Me Kriemhilde dem Werner Woten sandte.
CVn Worms, der wonniglichen Stadt am Rhein, saß König Gibich. Ihm
wuchsen drei edle Söhne und eine schöne Tochter, die Kriemhilde hieß.
15 Um sie warb ein Held aus Niederland, der junge Siegfried; der war so stark,
daß er Löwen mit der Hand fing und sie mit zusammengebundenen Schwänzen
über die Mauer hängte. Die schöne Jungfrau hatte nahe bei Worms einen
Garten, eine Meile lang und eine halbe breit, worin viel herrliche Rosen
blühten, und den statt der Mauer nur ein dünner Seidenfaden umhegte.
20 Aber niemand wagte es, in diesen Garten einzubrechen, denn seiner hüteten
zwölf kühne Recken: das waren Gibich, ihr Vater, Gernot und Gunter, ihre
Brüder, der starke Hagen von Tronje, Volker von Alzei, Walter vom
Wasgenstein, der tapfere Stutfuchs, die vier Riesen Pusold, Schrutan,
Ortwin und Asprian, und jung Siegfried, ihr Verlobter. Darum stand der
25 stolzen Jungfrau der Mut gar hoch, und sie rühmte sich oft, niemand in der
ganzen Welt sei so verwegen, daß er in ihren Rosengarten käme.
Da hörte sie einst eine wundersame Märe von König Dietrich von
Bern, wie er mit seinen Helden in hohen Ehren hause, also daß es keinen
hehreren Mann gebe denn ihn. Das verdroß die schöne Kriemhilde, und
30 sie dachte darauf, wie sie die Berner Recken mit den Wormsern zusammen¬
bringen möchte, damit man erkennte, welchen der Preis gebührte. Darum
ließ sie dem König Dietrich entbieten, er solle selbzwölft gen Worms an
den Rhein kommen und ihren Rosengarten schauen, wofern er sich getraue,
ihren zwölf Helden Kampf zu bieten.
35 Die Boten fuhren ihres Weges, bis sie nach Bern gelangten; dort
empfing sie Meister Hildebrand wohl und führte sie vor den König, der