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22. ñüldebrand und àdubrand.
Sie betraten miteinander die Halle, die vom flackernden Herdfeucr
erhellt war. Frau Ute erwartete bereits ihren Sohn. Fröhlich sagte Hadu-
brand: „Hier bring' ich dir einen Gefangenen, liebe Mutter. Er hätte mich
auf der Heide beinah erschlagen; aber dir habe ich meine Rettung zu ver-
5 danken, du hast mich in meiner Jugend sorglich in Stoß und Sprung unter¬
weisen lassen. Nun bin ich meines Sieges so froh, daß ich den hungrigen,
alten Mann gern als Gast beherberge." Fragend blickte Frau Ute bald
ihren Sohn an, bald den fremden Mann. Sie wußte sich den Widerspruch
in Hadubrands Worten nicht zu deuten. Sie begrüßte den Gast höflich, aber
IO gemessen; sobald sich aber eine schickliche Gelegenheit gab, flüsterte sie ihrem
Sohne zu: „Erweisest du nicht einem gefangenen Manne zu viel Ehre, wenn
du ihn oben an den Tisch setzest?" Doch Hadubrand lächelte und führte au
der Rechten die Mutter, an der Linken den Vater auf den Hochsitz, während
die Mannen im Saale sich an den Langtischen reihten.
15 Noch hatte Hildebrand kein Wort gesprochen, er wollte sich durch die
Stimme nicht verraten. Aber während sie aßen, blickte Frau Ute ihn oft
forschend und mit Spannung an; es war ihr immer, als hätte sie diesen
Mann mit den blitzenden Augen in ihrer Jugend gekannt.
Nachdem der Hunger gestillt war, füllte Frau Ute einen Becher mit
20 Wein, trat damit vor Hildebrand hin und sprach: „Mit diesem Trünke heiße
ich dich willkommen, du seltsamer Gast. Noch hab' ich kein Wort von dir
gehört; aber meines Sohnes Gesinnung gegen dich genügt mir, um dich zu
ehren und gern zu bewirten. Mögest du dich wohl fühlen in der Burg zu
Bern!" Nach diesen Worten nippte sie an dem Becher und reichte ihn dem
25 Alten hin. Dieser erhob sich schweigend, verneigte sich und trank in einem
Zuge den dargebotenen Wein. Dann aber klirrte es, indem er den silbernen
Becher an Frau Ute zurückgab, als ob Gold darin niederglitte. Neugierig
schaute die Wirtin hinein; mit Befremden erblickte sie einen goldenen Ring
auf dem Grunde des Bechers; sie ergriff ihn, und als sie ihn im Scheine
30 des Feuers genau betrachtet hatte, schrie sie laut auf und erbleichte. „Woher",
rief sie bebend, „hast du diesen Ring, du wunderbarer Mann?" Hiloebrand
erwiderte: „Den Ring sendet dir, edle Frau, dein Gemahl zum Wahrzeichen
seiner baldigen Heimkehr." Beim Klange seiner Stimme zuckte Frau Ute
zusammen; dann aber trat sie nahe an ihn heran und sah ihm prüfend ins
35 Auge. Die innigste Liebe leuchtete ihr daraus entgegen. Da sank sie ihm
weinend in die Arme, und die beiden Gatten, die einander so viele Jahre
fern gewesen waren, hielten sich lange umschlungen.
Karl Heinrich Keck.