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23. parzival.
Schöpfer; dem Rosse läßt er die Zügel hängen: ist heute Gottes Hilfetag,
so helf er und weise den rechten Weg! Das Roß geht wirklich der Höhle
zu, wo Trevrezent sich zum Himmel bereitet. Am Feuer des Einsiedlers
erwärmt Parzival. Er lernt in Trevrezent seinen Oheim kennen, erfährt
5 von ihm die Wunder des Grals und die Geschichte von Titurels Geschlecht;
auch den Tod seiner Mutter vernimmt er, und wie er selbst der Drache war,
den sie gesäugt. Fünfzehn Tage verweilt er und empfängt des Oheims heilige
Lehren. Kräuter und Wurzeln, aus dem Schnee gegraben, sind ihre magre
Speise, und doch ward Parzival nie so köstlich bewirtet; an der Seele genesen,
t0 mit neuem Vertrauen auf Gott verläßt er die Höhle.
Fünf Jahre schon ist Parzival nach dem Gral umhergestreift. Wieder
sitzt er am Tische des Königs Artus, und abermals kommt Kundrie angeritten
in schwarzem Mantel mit goldnen Tauben, dem Wappen des Grals. Noch
unerkannt, fällt sie zu Parzivals Füßen und fleht weinend um seine Huld.
15 Dann wirft sie ihr Hauptgebände von sich und verkündet die freudige Bot¬
schaft, daß Parzival durch die Schrift am Grale zu seinem Herrn berufen sei.
Segensreich preist sie den Stand der Gestirne. Freudetränen fließen aus
Parzivals Augen; er macht sich mit Kundrien auf den Weg nach Montsalvatsch.
Eine Schar von Templern, die ihnen im Walde begegnet, springt von den
20 Rossen und empfängt mit abgebundnen Helmen den neuen König. Ein Segen
deucht ihnen sein Gruß. Es ist eben die Zeit, da des Amfortas Schmerzen
sich erneuen. Duftende Würzen sind umhergestreut; das Aloefeuer brennt;
mit den edelsten Steinen von heilender Kraft ist das Bett besät; doch nichts
lindert die Qual. Da erscheint Parzival; ihn fleht Amfortas um das eine,
25 daß der Gral sieben Nächte und acht Tage aus seinen Augen gerückt bleibe.
Parzival aber wirft sich dreimal vor dem Grale nieder und betet, daß die
Not des armen Mannes ende. Plötzlich kommt ein herrlicher Glanz über
den Kranken; in blühender Schönheit erhebt er sich vom Siechenbett. Ritter¬
lich bricht er wieder manchen Speer int Dienste des Grals, nicht um
30 Frauengunst. r "T' vit
Von Kundrien hat Parzival auch das vernommen, daß Kondwiramurs
ihm Zwillingssöhne geboren habe. Schon ist nach ihr gesendet, und Parzival
reitet ihr entgegen. Am frühen Morgen kommt er zu der Aue, wo sie ge¬
lagert ist. Als er in ihr Gezelt tritt, schläft sie noch, neben ihr die beiden
35 Kinder. Freudig springt sie auf und empfängt den Gemahl. „ Zürnen
sollte sie, aber sie kann nicht. Es ist dieselbe Stelle, wo einst Blut und Schnee
ihm den Sinn entrückt. Hier ist wieder beides, doch nicht der leere Schein.
Ludwig Uhland und Wilhelm Herh.