43. Auf den Mauern Pekings.
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anderwimmelt und drängt, wie das schwatzt und lacht und feilscht, sich ver¬
beugt und gestikuliert! Die Schenktische an den Rändern der Bürgersteige
sind alle besetzt, und aus jeder Ladentür schauen Gesichter; in dichten Gruppen
steht es um die Auslage des Strahenhändlers, über der sich der Schirm mit
den geschweiften Ecken des chinesischen Daches breitet, oder drängt sich be¬
gierig um einen Jongleur, einen Märchenerzähler, ein Kasperltheater her;
da wird ein Hammel geschlachtet, und da wird rasiert, hier röstet man Nüsse,
und dort werden Pasteten gebacken. Und dazwischen schiebt sich und wogt
hinauf und hinab ein unaufhörlicher Strom von Passanten: da schleicht der
Mönch, da eilt der Geschäftsmann, da schlendert behaglich ein altes Weib
mit der langen Pfeife im Mund oder ein Großvater, der seinen Enkel, ein
Tierfreund, der seinen Vogel spazieren trägt; würdevoll schreitet der kleine
Beamte im Staatsgewand und der promenierende Dandy; den Bambusstab
guer über den Schultern, trottet ein Lastträger daher, mit Klingel, Gong,
Kastagnetten oder Horn oder welches Instrument sein Gewerbe verkündigen
mag, wandert geschäftig der Hausierer und Handwerker, und mit unglaublicher
Schnelligkeit winden sich mit ihren Wägelchen noch durch all dies Gewühl
die Rikscha-Kulis, deren beständiges tsieh-kwäng, tsieh-kwäng („bitte Platz!
bitte Platz!") noch von den kläglichen Rufen der Bettler übertönt wird, die
einzeln oder rottenweise den Wagen nachstürmen. Und welch ein unbeschreib¬
liches Gewühl erst auf dem Fahrdamm! Lastwagen, Bauernfuhrwerke mit
störrigem Maultier, Wasserkarren mit ihrem kreischenden Rade, Reiter,
Sänften und Wagen, eine vornehme Karosse, umgeben von der berittenen
Dienerschar, bedächtig schreitende Kamelkarawanen mit dem eintönigen dam-
düm-dam, dam-dnm-dam ihrer Halsglocken und wieder die flinken Rikschas
— das alles schiebt sich hier neben- und durcheinander und vielleicht auch noch
Zwischen den zwei endlosen Reihen eines Hochzeitszuges mit seinem Trousseau
oder eines Leichenkonduktes hin, der mit seinen wunderlich aufgeputzten Stan¬
darten- und Figurenträgern und den gongschlagenden Teufelsbannern den
Weg flankiert, während der hohe Katafalk mit dem Trauergefolge die Mitte
einnimmt.
Ein wahrer Jahrmarkt von Plundersweiler! Und ein Höllenbreughel
zuweilen, wenn man mitten darunter steckt. Auf der Höhe der Mauer jedoch
werden Auge und Ohr nicht ermüdet, dämpfen sich die großen Kontraste der
Töne und Farben zu harmonischer Wirkung ab. Denn wie sich all der be¬
täubende Lärm zu einem dumpfen Brausen verdichtet, aus dem nur dann
und wann, wie Lichter auf Wellenkämmen, ein Ruf, ein Signal gewisser-
waßen aufblitzt, so dient das kräftige Rot, Grün, Gelb der Gewänder, das
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