Full text: [Teil 6 = Klasse 4, [Schülerband]] (Teil 6 = Klasse 4, [Schülerband])

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49. Aus deutschen Gauen. 
der Kolossalstatue, ein überaus schwieriges Werk, das jedoch im folgenden 
Winter glücklich gefördert wurde und 1875 seinen Abschluß fand. 
Am 16. August 1875 sah der Teutoburger Wald einen herrlichen Fest¬ 
tag, den höchsten Ehrentag des greisen Meisters, den Tag, an dem Bändel 
5 seinem Volk das vollendete Denkmal übergab. Die Vertreter aller deutschen 
Stämme waren erschienen, an ihrer Spitze Kaiser Wilhelm der Siegreiche 
mit seinem ritterlichen Sohn. 
Ein unvergeßlicher Anblick war es, als der „Alte vom Berge", auf den 
Arm seines Sohnes gestützt, von einem Adjutanten zur kaiserlichen Tribüne 
10 geführt wurde, als bei seinem Eintritt die glänzende Versammlung sich ehr¬ 
erbietig erhob und Kaiser Wilhelm, tief ergriffen, dem greisen Künstler die 
beiden Hände schüttelte und im Namen des ganzen deutschen Volks seinen 
Dank für das nun doch glücklich zu Ende geführte große Werk aussprach. 
Von Kaisers Mund ward an diesem Tag dem edeln Mann, der alles 
15 für die Verwirklichung seiner nationalen Idee hingeopfert hatte, ein Ehrensold 
auf Lebenszeit zugesichert. Lange sollte er ihn nicht genießen. Bereits am 
25. Dezember 1876 schloß der selbstlose, große Meister zu Neudcgg die Augen 
für immer. 
II. Das Nationaldenkmal auf dem Niederwald. 
20 Wie muß sich jeder Deutsche freuen, wenn er nach Rüdesheim pilgert 
und aufschaut zum Nationaldenkmal, das zum bleibenden Gedächtnis des 
großen nationalen Kampfes und Sieges von 1870—71, der uns die Einheit 
brachte, als Wacht am Rhein dort am Abhang des Niederwalds aufgerichtet 
wurde! Hoch, riesenhoch ragt sie empor, die Frau Germania, frei und 
25 meilenweit sichtbar, fast zur doppelten Höhe der Athene, die einst, ein Denkmal 
der Siege über die Perser, die Akropolis überragte. Ihr reiches blondes 
Haar wallt wie vom frischen Wind bewegt herab; die vollen festen Lippen 
scheinen den gegenwärtigen, wie den kommenden Geschlechtern die Losung zu 
geben: „Weder trauen noch fürchten!" Die Linke stützt sich auf das friedlich 
30 gesenkte deutsche Schwert, und hoch hebt die Rechte des Reichs neuerstandene 
Krone, unerreichbar allen Feinden und Neidern, in die freie Luft. Es ist ein 
wunderbarer Adel in der Gestalt und Haltung dieser Figur, die Schillings 
Meisterhand ins Dasein gerufen hat, eine wunderbare Vereinigung won An¬ 
mut und Kraft. Ihre vollendete weibliche Schönheit ist erhöht durch den 
35 Ausdruck der Herrscherwürde, der ruhigen Entschlossenheit, der überwältigenden 
Erhabenheit. Der untere Teil des Sockels zeigt uns über drei Stufen die 
Gruppe, in welcher der alte Vater Rhein der jugendlichen Mosel, der neuen
	        
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