Full text: [Abteilung 5 = Für Ober-Tertia, [Schülerband]] (Abteilung 5 = Für Ober-Tertia, [Schülerband])

AMerlan: Die Götterdämmerung. 
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3. Die Götterdämmerung. 
Von Frieda Amerlan. Aus Urväter Tagen. Berlin, o. I. 
„Nirgend haftet Sonne noch Erde; 
Es schwanken und stürzen die Ströme der Luft, 
Und die Himmel neigen sich nieder." 
Sobald die Götter durch allerlei Treubruch und Missethat ihre 
Kraft verloren hatten, verlor auch das Gute, dessen Verkörperung sie 
gewesen waren, seine Macht auf Erden. Es siegte das Böse. 
Alle Greuel, welche die Wala geweissagt hatte, wurden nun wahr: 
„Brüder befehden sich und fällen einander; 
Geschwister sieht man die Sippe brechen; 
Unerhörtes ereignet sich . . . ." 
Der Sohn erhob die Hand wider den Vater, und der Vater schonte 
des Sohnes nicht. Aus Habgier mordeten sich Brüder und Bruders¬ 
kinder. Die heiligsten Bande lockerten sich. Niemand achtete mehr 
des Gesetzes noch des Gewissens in der eigenen Brust. Schwere, un¬ 
gerechte Kriege erfüllten die Welt. Nicht um Heldenruhm und Ehre 
ward mehr gestritten; schnödem Frevel galt die blutige Waffenthat. 
Und darum wurden die Gefallenen auch nicht mehr als Walvaters 
willkommene Wunschsöhne emporgetragen gen Walhall — den Wölfen 
dienten ihre Leiber zum Fratz, den Wölfen der Riesen und dem 
Fenriswolf. 
Regungslos mußten die Götter das Verderben hereinbrechen sehen 
und konnten ihm nicht wehren. 
Darnach kam der Fimbulwintcr, der schreckliche Winter ohne 
Licht und Sonne, der ununterbrochen drei Jahre währte. Schnee 
stöberte von allen Seiten; rauhe Winde stürmten daher; jegliches Leben 
erstarrte im Frost. Matt und glanzlos ward die Sonne, matt und 
bleich der Schein des freundlichen Mondes. Der Gestirne Verfolger 
aber, die Wölfe der Nacht, welche so lange vergeblich hinter ihnen her¬ 
gejagt waren, hatten jetzt, gemästet durch der Schlachtfelder blutigen 
Fratz, so zugenommen an Größe und Kraft, daß es ihnen gelang, 
sie einzuholen. An des Fimbulwinters letztem Tage wurden mit wüten¬ 
dem Geheul die Lichtspendenden von ihnen verschlungen. 
Da bebte die Erde, und die Berge stürzten ein. Bäume und 
Felsen wurden entwurzelt und alles Gefesselte, alle Feinde der Götter 
frei, voran der Fenriswolf und Loki. Und im überflutenden Meere 
hob die Midgardschlange dräuend ihr Haupt. 
Mit des Lichtes letztem Schein erlosch auch der Götterdämmerung 
letzte Frist. Die Nacht war da und mit ihr die Stunde des letzten 
Kampfes. 
Alle Feinde stürmen wider Asgard.
	        
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