Full text: Prosalesebuch für Untertertia der Vollanstalten oder Klasse III der Realschulen (Teil 4, [Schülerband])

die schmale, meist mit Steinplatten unvollkommen belegte Dorf* 
strafse, so bellen ihn Hunde einer gemeinen, allgemein ver¬ 
breiteten Rasse an und belästigen ihn, sind aber wie allerwärts 
in China zu feige, um ihm jemals ein Leid anzutun. Schweine 
kleinen Schlages, deren Bauch fast den Boden berührt, sind bevor- 5 
rechtete Inhaber der Dorfstrafse und erhalten sogar Zulais in die 
Häuser. Dazu kommen die üblen Gerüche, die nie fehlen, wo 
Chinesen eng zusammenleben. Abfälle aller Art, die nie hinweg¬ 
geräumt werden, Ausdünstungen der offenen Kochherde und der 
Salzfische in den Kramhandlungen, dazu der der Rasse anhaftende 10 
Geruch, den nur der Fremde bemerkt: das wirkt alles zusammen, 
um die Nerven unangenehm zu berühren. Und doch gedeiht der 
Chinese in einer Luft, die der Europäer als verpestet empfindet, 
zu kräftigem, hohem Alter. 
Gibt es somit auch hier genug Widriges zu überwinden, so 15 
stehen doch die Dörfer von Schantung verhältnismässig hoch. 
Manche Einrichtung, auch abgesehen von der Bauart, weckt fast 
heimische Erinnerungen, so z. B. wenn die Dorfbewohner sich 
des Abends auf dem Dorfplatz unter einer Gruppe hoher Bäume, 
die unsern Dorflinden entsprechen, zusammenfinden. Hier sitzen 20 
sie stundenlang auf Steinen, die im Umkreis angeordnet und vom 
Alter geglättet sind, rauchen ihre Pfeife und unterhalten sich 
über die Tagesereignisse. Sehr weit reicht dabei ihr Blick natürlich 
nicht. Was im Dorf und in der Kreisstadt vorgeht, mag wohl 
am meisten ihr Interesse in Anspruch nehmen. Dann kommen 25 
die Nachrichten, welche durchreisende Fuhrleute von weither 
bringen, darunter Klänge von sonderbaren Barbaren in Tschifu, 
welche jene gesehen, aber nicht gesprochen haben. Auch An¬ 
ordnungen der Provinzialbehörden, grössere Ereignisse in der 
Reichshauptstadt, deren Kunde sich nach und nach, meist in so 
sehr veränderter Gestalt, durch das Land verbreitet, werden wohl 
ihre Rolle spielen. Jedoch auch hier verliert der Bauer nirgends 
den ihm eigenen Zug des Misstrauens und des Hangens am Alt¬ 
hergebrachten. 
Die Dörfer im Norden Schantungs zeigen infolge der ge- 35 
drängten Anordnung der Häuser, der vielen offenen Kaufläden 
und der engen Gassen im allgemeinen einen städtischen Anstrich. 
Fast alle wurden übrigens während der Empörung der Nienfei, 
welche Schantung im Jahre 1867 heimgesucht hat, teils mit ein¬ 
facher, teils mit doppelter Umwallung umgeben, dicken, durch 40
	        
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