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Der Markt ist das Herz der griechischen Stadt. Von ihm gehen
die Pulsadern des Lebens aus, alle großen Straßen, die Stadt und
Landgebiet durchschneiden; von ihm aus werden sie gemessen. Die
Stadt ist stolz auf ihren Markt. Die Gemeinde sucht ihn groß und
schön zu machen: sie schmückt ihn mit Tempeln, mit Altären und zahl¬
reichen Statuen und Denkmälern; sie umgiebt ihn mit Säulenhallen, in
denen der Müßige, der den bunten Verkehr des Marktes liebt, sich auf¬
hält, in denen er seine Spaziergänge macht. In den Hallen sucht und
trifft man seine Freunde. Der Markt wächst mit dem Bedürfnis, mit
der Ausdehnung der Stadt und weiß in seiner Vergrößerung wie in
seinen Denkmälern von ihrer Geschichte zu erzählen. So ist auch der
Markt von Athen nach und nach zu einem umfassenden, aber durchaus
unregelmäßigen Platze erweitert, einem Platze, der vielmehr als Stadtteil
bezeichnet werden kann.
Jeder Zweig des Verkaufs und Geschäfts hatte auf dem Markte seine
bestimmt angewiesene Stelle und war wie der ganze Verkehr durch Vor¬
schriften geregelt. Für deren Aufrechthaltung sorgte eine Marktpolizei,
welche, mit hinlänglicher Strafgewalt ausgerüstet, unter Streitenden
Frieden stiftete, über die Güte der Waren wachte sowie über billige und
angemessene Preise, über richtiges Maß und Gewicht und echte und voll¬
gültige Münze. Der Besucher des Marktes fand also alles an seinem
Platze. Gesondert, sei es frei unter dem Himmel, sei es in rohrge¬
flochtenen oder aus Brettern zusammengeschlagenen Buden, standen die
Verkäufer von Wein, von Obst und sonstiger Frucht, z. B. von Erbsen
und Linsen, die auch gekocht feilgeboten wurden, die Verkäuferinnen von
Blumen, Kränzen und bunten Bändern, deren man zum Schmuck des
Gastmahls bedurfte, oder die durch besondere Zungenfertigkeit berühmten
Brotverkäuferinnen, welche die runden Bröte säulenförmig vor sich auf¬
getürmt hatten. Wehe dem, der ungeschickterweise eine solche Säule
umstürzte! Sicher ergoß sich über den Unglücklichen eine Flut von bitteren
Reden. An anderen Stellen befand sich der Topfmarkt, der Kleidermarkt,
der Fischmarkt, — letzterer ein Lieblingsplatz der Feinschmecker, auf den
sich alle stürzten, sobald eine Glocke das Zeichen zum Verkauf frischer
Seefische gab.
Aber der Markt bot nicht bloß den Bedarf des täglichen Lebens,
er zog auch viel anderen Verkehr und anderes Geschäft an sich. Auf
ihm und um ihn herum gab es zahlreiche Handwerker- und Künstler-
Werkstätten, welche stets von Müßiggängern voll waren, die teils
der Arbeit zusahen — und es war jy. in Athen feine und echt künst¬
lerische dabei —, teils die Zeit verplauderten. Zu gleichem Gebrauche
dienten in der Nachbarschaft die Barbierstnben — wahre Klatschbuden und
keineswegs bloß des gemeinen Volkes — und nicht selten auch die
Buden oder öffentlichen Stuben der Heilkünstler, die ebenfalls hier ihre
Stelle hatten. Es gab in Griechenland und zumal in Athen gelehrte
Ärzte, die sich, wie Hippokrates von der Insel Kos, zu wirklichen Heil¬
künstlern herangebildet hatten und sich mit Recht eines hohen Ansehns
und Vertrauens erfreuten; außer ihnen aber waren der Charlatane viele, die
schon durch ihr ganzes Auftreten den Verständigen als todbringend er-