Full text: [Teil 4, [Schülerband]] (Teil 4, [Schülerband])

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der Tropengegenden geben. — Der menschliche Geist, welcher uns in 
unserer Heimat Naturgenüsse schafft, die wir sonst nicht haben würden, 
führt uns heutigestages auch leicht zu fernen Naturschönheiten hin, welche 
zu schauen einst nur wenigen in diesen Gegenden nicht Heimischen ver¬ 
gönnt war. Eisenbahnen nnd Dampfer tragen Tausende und aber Tau¬ 
sende alljährlich zu den Gletschern und Seen der Alpen, zu Norwegens 
felsumgürteten Meeresbuchten, zu Italiens Citronenhainen und zu den 
wunderherrlichen Gestaden des grünen deutschen Stroms. 
Und noch ein wesentlicher Gedanke am Schluffe dieser Darstellung. 
Derselbe Menschengeist, der durch die von ihm ausgehende Kultur die 
Erde umgestaltet und veredelt, und der durch den Austausch der Natur- 
erzeugnisse und unter Anwendung der großen Verkehrsmittel der Neuzeit 
unsern Naturgenuß verzehnfacht, der erweckt auch mehr und mehr und in 
immer weiteren Kreisen des Volkes den Sinn für die Natur, die volle 
Empfänglichkeit für ihre Schönheiten. Bei wilden Stämmen trifft man 
diesen Natursinn fast gar nicht, auch ist er schwach bei dem gemeinen 
Manne unter den gebildeten Völkern. Je mehr aber die Kultur steigt, 
je weitblickender und feinfühliger der Mensch wird, je schärfer nnd je mehr 
er beobachtet und die Welt der Natnrgestalten und Naturerscheinungen 
erforscht, desto mehr erwacht auch seine Liebe zur Natur und die reine 
Freude an ihren Schönheiten. Da begeistert denn auch die Natur das 
tiefer empfindende Menschenherz. In vollen Tönen erklingen aus dem 
Munde der Dichter die Lieder, in denen der holde Reiz des herein¬ 
brechenden Lenzes oder die ersten Schönheiten der herbstlichen Natur, die 
Anmut des an der Hecke bescheiden duftenden Veilchens wie die erhabene 
Pracht des Sonnenuntergangs gepriesen werden, oder was sonst die Natur 
an stiller Lieblichkeit oder majestätischer Erhabenheit zeigt. Lieder, sinnige 
Erzählungen und anmutige Schilderungen, in denen solches Naturgefühl 
sich ausspricht, dringen schon an das Ohr des jüngeren Kindes, früh 
seinen Natursinn weckend, und sie stimmen noch das Herz des Greises zu 
reiner Naturfreude, zum edelsten Naturgenuß. So wirkt nicht bloß der 
Geist des Menschen auf die Natur, sondern auch die Natur auf den 
Menschengeist ein; sie spendet diesem den Dank für das, was sie von 
ihm empfangen hat. Am tiefsten und innigsten aber redet sie zu ihm, 
wenn auch sie, in ihrer besonderen Sprache, offenbart den Allwaltenden, 
in dem alles lebet, webet und ist, so daß die seine Nähe empfindende 
Menschcnseele jubelnd preist, daß die Himmel erzählen die Ehre 
Lottes und dib Feste verkündigt seiner Hände Werk. 
Frei nach?chouw. 
115. Morgengebet. 
1. O wunderbares, tiefes Schweigen, 
Wie einsam ist's noch auf der Welt! 
Die Wälder nur sich leise neigen, 
Als ging' der Herr durchs stille Feld.
	        
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