300
Kaffeetopf aus, dessen Inhalt sie ihm einschenkt, während er seine mächtige
Lokomotive, die mit den glühenden Augen ihrer großen Laternen feindlich
hinaus in das Schneegestöber starrt, die Ölkanne in der Hand, nochmals
umschreitet, jeden Teil nochmals befühlt, sich überzeugt, ob Öl in allen
Schmiergefäßen, der Rost gehörig von Schlacke gereinigt, die Siederohre
des Kessels von Asche befreit, nichts locker und nichts zu klamm angezogen
und sein Greif imstande sei, seine Riesenglieder geschmeidig spielen zu
lassen, seine hundertundsünfzig Pferdekräfte frei zu entwickeln und seinen
gewaltigen Leib mit der daran hängenden Last, über zweitausend Zentner
schwer, mit Adlerschnelligkeit durch die Sturmnacht fortzureißen.
„Will die Verwaltung immer noch nicht dran, euch armen Kerlen
Schutzkabinen auf die Maschinen zu bauen?" fragte der Inspektor den
Lokomotivführer; „ihr müßt barbarisch da vorn in einer solchen Winter-
nacht leiden!" — „Ja, ja, die Herren in ihrem Sitzungszimmer wissen's
nicht, wie ein Schueenordost schneidet," antwortet der Führer ans seinen
dicken Tüchern dumpf heraus, „und meinen, wir hörten und sähen nichts
in dem Häuschen. Ob man wohl besser mit so verbundenen Ohren
hört, mit so entzündeten Augen sieht?" setzte er lachend hinzu, aufseinen
Kopf deutend, und dann: „Fertig Herr! Sie könnens Zeichen geben
lassen." Der Inspektor winkt, die tobende Bahnhofsglocke jagt mit grellem
Schellenlaut nochmals die Schläfer in den Wagen empor, und ihre letzten
Töne verschwimmen in dem noch abscheulicheren, langgehalteuen Pfiffe
der Maschine. Dann hört man draußen die lauten Doppelschläge der
elektrischen Glocken im Sturmwind verwehen. „Gott behüt' dich, Zimmer¬
mann," sagt die Frau, den: auf der Maschine stehenden Führer noch ein¬
mal die Hand reichend. — „Gute Nacht, Frau! denkt an mich, wenn ihr
warm liegt."
Er legt die Faust mit dem dicken Pelzhandschuh auf den Regulator;
ein Ruck, die Maschine setzt sich in Bewegung; stöhnend, wie widerwillig,
folgen ihr die Wagen, puffend bläst sie die erste Dampfwolke gegen das
Dach der Halle, die zweite schon in das Schneegestöber, daß die Flocken,
wie entsetzt emporgerissen, auseinandersticben. Heulend fällt der schnei¬
dende Sturm die beiden schweigenden Männer auf der Maschine, den
Lokomotivführer und den Heizer, an und schießt ihnen, wie Eisnadeln,
fast wagerecht die glitzernden und wie Millionen kleine, kalte Quälgeister
ranzenden Schneeflocken ins Gesicht. Der Führer sieht sich um, ob auf
dem Zuge alles recht und in Ordnung ist. Der Schein der beleuchteten
Wagenfenster gleitet über den Schnee. — Wie behaglich muß es im ge¬
polsterten, warmen Coups sein! — Auf den Wagen, tvie schwarze
Klumpen, sitzen die Schaffner in Pelze und Mäntel vergraben; der Sturm
fährt mit wüstem Zischen zwischen Räder und Wagen durch.
Die roten Lichter der Signale an den Ausweichungen gleiten lang¬
sam vorüber, jetzt hat der Zug das letzte derselben hinter sich und ist
auf freier, offener Bahn.
Rabenfinster, sturmtobend, schneedurchrieselt liegt die Nacht vor dein
Führer, kaum den Schornstein seiner Maschine kann er sehen. Welche
Gefahren birgt diese Finsternis für ihn! Hat ein Arbeiter eine Hacke
auf der Bahn liegen lassen? Hat der Sturm einen Signalbaum um-