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neue Bahnen sich eröffnet, reichere Mittel in Bewegung gesetzt und durch
Gründung wohlgegliederter Genossenschaften die mancherlei Gestaltungen
menschlichen Elends und Übels um so nachdrucksvoller und erfolgreicher
bekämpft. In so viele Abteilungen sich heutigestags auch die allge¬
meine Kirche Christi scheidet, an solcher Liebesthat haben alle die ver¬
schiedenen Bekenntnisse gearbeitet. Wo nur der Geist des Christentums
überhaupt lebendig geblieben ist, da hat auch seine schöne Lebensäußerung
in den Werken der Barmherzigkeit nicht gefehlt.
In der großen Schar jener Edlen, in denen sich dies besonders
lebendig und wirksam erwies, ragen Vincenz de Paula und Elisa¬
beth Fry vor vielen anderen hervor.
Vincenz de Paula.
Vincenz de Paula, im Jahre 1576 in der Gascogne geboren, wurde
mit zwölf Jahren den Franziskanern zur Erziehung übergeben und in
seinem fünfundzwanzigsten Jahre zum Priester geweiht. Auf einer Küsten¬
fahrt im Mittelländischen Meere wurde er von Korsaren gefangen ge-F^
nommen und nach Tunis gebracht. Hier kam *cr als Sklave in das / , .
Haus eines Renegaten aus Nizza. Die christliche Ergebenheit und
Frömmigkeit des neuen Sklaven machten auf den vom Christentum ab¬
gefallenen Herrn einen solchen Eindruck, daß er wieder für die Religion
seiner Väter gewonnen wurde. Er kehrte mit Vincenz nach Frankreich
zurück und trat hier wieder zum Christentum zurück. Als Pfarrer in
einem armen, verwahrlosten Städtchen richtete Vincenz seine Hauptthätig¬
keit darauf, auch der leiblichen Not der Armen abzuhelfen. Als er einst
die Kanzel besteigen wollte, bat ihn eine Frau, eine besonders dürftige
Familie dem Wohlwollen der Gemeinde zu empfehlen. Er that es mit
ein paar warmen, ergreifenden Worten. Nachmittags besuchte er selbst
jene Armen und fand, daß seine Zuhörer so viele Lebensmittel zu der
Hütte gebracht hatten, daß diese bestgemeinten Gaben teilweise unnütz
und wertlos wurden. Das bewog ihn, fortan solche Spenden der Wohl¬
thätigkeit selbst in Verwaltung zu nehmen und edle Frauen dafür zu
gewinnen, daß sie die wirklich Bedürftigen ermittelten und für die rechte
Zuwendung der Gaben sorgten. So entstand ein aus Frauen gebildeter
wirklicher Üntcrstützuugsvercin. (Ooukiörie de charite.) In einer späteren
Wirksamkeit lernte Vincenz den unsäglich elenden Zustand der Galeeren¬
sklaven kennen, deren es in den französischen Seestädten am Mittelmeer
so viele gab. Ihr trauriges Los und ihre sittliche Verkommenheit gingen
ihm tief zu Herzen. Er gründete ein Krankenhaus für sie und nahm
sich ihrer mit geistlichem Zuspruch wie mit leiblicher Fürsorge so an, daß,
durch solch hohes Vorbild hingerissen, selbst hartnäckige, erbitterte Gemüter
sich der ungewohnten christlichen Liebe öffneten. Auf einer Reise in
Burgund fand er zu Macon eine auffallende Menge von Bettlern, welche
w religiöser und sittlicher Hinsicht ganz verkommen waren. Der Bettler
^kgen blieb er eine Zeitlang im Orte und brachte es dahin, daß sich
eine Genossenschaft bildete, welche das Betteln bekämpfte, aber die Hülfs-
bedürftigen in einer Weise unterstützte, die den Bettelstab überflüssig