Full text: [2 = Ober-Tertia, [Schülerband]] (2 = Ober-Tertia, [Schülerband])

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sie dem unverblendeten Europa vor Augen. Wir erlagen unter der Über¬ 
macht Frankreichs. Der Frieden, der die Hälfte Meiner Untertanen Mir ent¬ 
riß, gab uns seine Segnungen nicht; denn er schlug uns tiefere Wunden 
als selbst der Krieg. Das Mark des Landes ward ausgesogen, die Haupt¬ 
festungen blieben vom Feinde besetzt, der Ackerbau ward gelähmt, sowie der 
sonst so hoch gebrachte Kunstfleiß unserer Städte. Die Freiheit des Handels 
ward gehemmt und dadurch die Quelle des Erwerbs und des Wohlstands 
verstopft. Das Land ward ein Raub der Verarmung. Durch die strengste 
Erfüllung eingegangener Verbindlichkeiten hoffte ich Meinem Volke Erleich¬ 
terung zu bereiten und den französischen Kaiser endlich zu überzeugen, 
daß es sein eigener Vorteil sei, Preußen seine Unabhängigkeit zu lassen. 
Aber Meine reinsten Absichten wurden durch Übermut und Treulosigkeit ver¬ 
eitelt, und nur zu deutlich sahen wir, daß des Kaisers Verträge mehr noch 
wie seine Kriege uns langsam verderben mußten. Jetzt ist der Augenblick 
gekommen, wo alle Täuschung über unsern Zustand aufhört. 
Brandenburger, Preußen, Schlesier, Pommern, Litauer! Ihr wißt, was 
ihr seit fast sieben Jahren erduldet habt, ihr wißt, was euer trauriges Los 
ist, wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll enden. Erinnert euch 
an die Vorzeit, an den großen Kurfürsten, den großen Friedrich! Bleibt ein¬ 
gedenk der Güter, die unter ihnen unsere Vorfahren blutig erkämpften: Ge¬ 
wissensfreiheit, Ehre, Unabhängigkeit, Handel, Kunstfleiß und Wissenschaft. 
Gedenkt des großen Beispiels unserer mächtigen Verbündeten, der Russen, 
gedenkt der Spanier, der Portugiesen. Selbst kleinere Völker sind für gleiche 
Güter gegen mächtigere Feinde in den Kampf gezogen und haben den Sieg 
errungen. Erinnert euch an die heldenmütigen Schweizer und Niederländer! 
Große Opfer werden von allen Ständen gefordert werden; denn unser 
Beginnen ist groß und nicht geringe die Zahl und die Mittel unserer Feinde. 
Ihr werdet jene lieber bringen für das Vaterland, für euren angebornen König, 
als für einen ftemden Herrscher, der, wie so viele Beispiele lehren, eure 
Söhne und eure letzten Kräfte Zwecken widmen würde, die euch ganz ftemd 
sind. Vertrauen auf Gott, Ausdauer, Mut und der mächtige Beistand unserer 
Bundesgenossen werden unseren redlichen Anstrengungen siegreichen Lohn ge¬ 
währen. Aber welche Opfer auch von einzelnen gefordert werden mögen, 
sie wiegen die heiligen Güter nicht auf, für die wir sie hingeben, für die 
wir streiten und siegen müssen, wenn wir nicht aufhören wollen Preußen 
und Deutsche zu sein. 
Es ist der letzte, entscheidende Kampf, den wir bestehen für unsere 
Existenz, unsere Unabhängigkeit, unsern Wohlstand; keinen andern Ausweg 
gibt es, als einen ehrenvollen Frieden oder einen ruhmvollen Untergang. 
Auch diesem würdet ihr getrost entgegengehen um der Ehre willen, weil 
ehrlos der Preuße und der Deutsche nicht zu leben vermag. Allein wir
	        
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