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von Streicher des Dichters Name in Doktor Ritter und der seinige in
Doktor Wolf verwandelt, beide nach Eßlingen reisend, angegeben und so auf¬
geschrieben. Das Tor wurde nun geöffnet, die Reisenden fuhren vorwärts,
mit forschenden Blicken in die Wachtstube des Offiziers, in der sie zwar
kein Licht, aber beide Fenster weit offen sahen. Als sie außer dem Tore
waren, glaubten sie einer großen Gefahr entronnen zu sein, und gleichsam
als ob diese wiederkehren könnte, wurden, solange sie die Stadt umfahren
mußten, um die Straße nach Ludwigsburg zu gewinnen, nur wenige Worte
unter ihnen gewechselt. Wie aber einmal die erste Anhöhe hinter ihnen
lag, kehrten Ruhe und Unbefangenheit zurück, das Gespräch wurde lebhafter
und bezog sich nicht allein auf die jüngste Vergangenheit, sondern auch auf
die bevorstehenden Erlebnisse. Gegen Mitternacht sah man links von Ludwigs¬
burg eine außerordentliche Röte am Himmel, und als der Wagen in die
Linie der Solitude kam, zeigte das daselbst auf einer bedeutenden Anhöhe
liegende Schloß mit allen seinen weitläufigen Nebengebäuden sich in einem
Feuerglanze, der sich in der Entfernung von anderthalb Stunden auf das
überraschendste ausnahm. Die reine, heitere Luft ließ alles so deutlich wahr¬
nehmen, daß Schiller seinem Gefährten den Punkt zeigen konnte, wo seine
Eltern wohnten; aber alsbald, von tiefer Bewegung ergriffen, rief er mit
einem unterdrückten Seufzer aus: „Meine Mutter!" —
Morgens zwischen ein und zwei Uhr war die Station Enzweihingen
erreicht, wo gerastet werden mußte. Als der Auftrag für etwas Kaffee er¬
teilt war, zog Schiller sogleich ein Heft ungedruckter Gedichte von Schubart
hervor, von denen er die bedeutendsten seinem Gefährten vorlas. Das merk¬
würdigste darunter war die „Fürstengruft".
Schöner konnte der schuldlose, freie Dichter nicht von seiner Heimat
scheiden, als indem er des Gefangenen mit liebender Begeisterung gedachte.
Die traurigen Klänge von Schubarts Gedichten gaben ihm das Geleite, das
einzige, mit welchem das Vaterland seinen größten Sohn in die Verbannung
sandte! Das einzige? Seien wir nicht ungerecht. Für die verlorene Fürsten¬
gunst, für sein geraubtes Menschenrecht gab es ihm das Köstlichste, was es
besaß, aus dem Schoße seines edeln Volksstammes einen Freund, und in
dem Freunde sein ganzes, getreues Herz.
Emil Palleske.
(Schillers Leben und Werke. Stuttgart, Krabbe. 1900.)
36. Ludwig van Beethoven.
Beethoven, der gewaltige Heros im Reiche der Töne, erblickte in einer
armen Musikantenfamilie zu Bonn am 16. Dezember 1770 das Licht der
Welt. Sein Vater war Tenorist an der kurfürstlichen Kapelle Maximilian
Friedrichs, der wie alle Kinder der Kaiserin Maria Theresia ein Kenner