Full text: [2 = Ober-Tertia, [Schülerband]] (2 = Ober-Tertia, [Schülerband])

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Weizen, der goldbraun im Winde wogt? und wie frischgrün die Wiesen 
prangen trotz der sengenden Julihitze! Auffallend kräftige Kühe beleben sie 
und spenden ihrem Besitzer Milch in unglaublich großer Menge und an¬ 
erkannter Güte. Muntere Pferde tummeln sich im Grün, und behäbige 
Schafe weiden im köstlichen Grase. — Dort winkt das freundliche Haus 
des Marschbewohners, das meist außer der Familie auch noch das Gesinde 
und zahlreiche Haustiere beherbergt. Dunkle Bäume beschatten das gemütliche 
Heimwesen. Ein kräftiger, tüchtiger Menschenschlag ist es, der uns hier be¬ 
gegnet. Biedere Treuherzigkeit, derbe Ehrlichkeit und berechtigtes Selbstgefühl 
schaut aus den blauen Augen. Alles sagt uns: du weilst in einem Landstriche, 
der Pflanzen, Tieren und Menschen ein fröhliches Gedeihen sichert. 
Dort aber wird uns Auge und Fuß gehemmt durch die endlosen 
Deiche, welche ohne die geringste Unterbrechung die glücklichen Fluren um¬ 
spannen. Wie schön wäre es, wenn wir über die langen und langweiligen 
Dämme, die uns wie eine chinesische Mauer von der See abschließen, hinaus¬ 
schauen könnten auf die blaue, endlose Meeresfläche! So mag wohl mancher 
denken, der die Dämme und Deiche als Abschluß des freundlichen Geländes 
nicht angenehm findet. 
Wie bald aber würde dieses freundliche Gelände mit all seinen Heim¬ 
stätten und Lebewesen hinweggefegt sein durch die wilde Flut, die unaus¬ 
gesetzt da draußen lauert, ob sie nicht endlich einbrechen und ihr Ver¬ 
nichtungswerk beginnen könnte. Führte doch die See von alters her hier 
die Herrschaft und ließ keine Kultur aufkommen, bis der emsige Mensch ihr 
den Weg zu verlegen suchte und endlich in diesen Dämmen Schutzwehren 
schuf, welche den Fluten in stolzer Ruhe ein gebieterisches Halt zurufen. 
Und so seien sie gesegnet, diese Wälle und Ringe, welche das blühende 
Land umschließen wie einer Mutter Arm den Liebling, um ihn vor allen 
Fährlichkeiten zu behüten. 
Wie viele Geschlechter mußten aber mit dem äußersten Aufwand aller 
Kräfte und Mittel daran bauen, bis diese Schutzwehr endlich in ihrer jetzigen 
Stärke geschaffen war! Wenn irgendwo, so gilt hier das biblische Wort: 
„Der Eltern Segen baut den Kindern Häuser"; denn nur die saure, end¬ 
lose Arbeit der Altvorderen bis tief in das Mittelalter hinein konnte es 
endlich dahin bringen, daß die Nachkommen verhältnismäßig ungefährdet in 
ihren Heimstätten wohnen. 
Und doch haben auch sie noch genug Geld, Mühe und Sorgfalt auf¬ 
zuwenden, um die Schutzbauten zu erhalten und fortwährend zu verbessern. 
Unermeßlich wäre das Unheil, das die hereinbrechende See anrichten würde, 
wenn eine schadhafte Stelle unbemerkt und unausgebessert bliebe. — Leider 
bietet die Geschichte jener Gegenden genug der schauervollen Berichte von 
solchen unvorhergesehenen Einbrüchen. Da gibt es kein Entrinnen. Die
	        
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