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Schritt für Schritt wurden da die Felder, die Häuser verteidigt, und wenn
nichts mehr zu retten war, suchte man wenigstens noch die Kirchen zu
halten. Man wollte die heilige Stätte nicht preisgeben, und nachdem längst
die Pforten versperrt waren, stieg die Gemeinde noch durch das Fenster ins
Gotteshaus, und der Geistliche predigte, statt von der Kanzel, von einem
Sandhügel, bis zuletzt nichts übrig blieb, als den Bau abzubrechen und
vielleicht für ein neues Jahrhundert auf gesicherterer Stelle wieder aufzurichten.
Dennoch hat die Natur auch hier nicht alle Hilfe versagt. Ihr Werk
ist vielmehr ein gedoppeltes: denn sie setzt den Sand nicht nur in Bewegung,
sondern sie gebietet auch über Mittel, ihn wieder zurückzuhalten, und als ein
solches dient nun eben die vorgenannte Strandvegetation. Daß dieselbe
zum Teil den Winter überdauert und sogar dem stärksten Sturme widersteht,
stimmt zu den bereits gegebenen Andeutungen. Aber ihre merkwürdigste
und wichtigste Eigentümlichkeit ist die zähe Kraft, mit welcher sie sich des
Bodens bemächtigt. Wer sollte glauben, daß ein einziger dieser Halme oft
10 Fuß tief in denselben hinabsteigt und mit allen seinen Fasern einen um
das Dreifache größeren Raum umspinnt? Und doch ist dies noch nicht
das Höchste. Wieder andere jener Pflanzen bilden, wenn ihr Stengel iyr
Sande versinkt, denselben in Wurzeln um und drängen unzerstörbar immer
von neuem hinauf und hinaus; auch das kleinste Kraut noch schlägt eine
Masche ein; und indem sich von dem Innern und von der Oberfläche her .
allenthalben die lebendigen Triebe hilfreich begegnen, wird am Ende Tal und
Hügel von zahllosen Fäden durchwirkt und Sandkorn an Sandkorn gebunden.
Nun ist ein nährender Boden für höher organisierte Pflanzen ge¬
schaffen, und die Düne, statt den Anwohner feindlich zu bedrohen, bietet ihm
jetzt, da sie befestigt oder „gedämpft" ist, den sichersten Damm gegen Ver¬
sandung wie gegen Überschwemmung. Es ist bekannt, daß ganz Nordholland
von den Mündungen des Rheins bis zum Eingänge des Zuydersees auf
diese Weise durch einen Dünengürtel geschützt wird. — Eben deshalb aber
bleibt es eine unerläßliche Arbeit des Küstenbauers, jene Vegetation auf
alle Sandgestade, denen sie fehlt, zu übertragen. Was das alte römische
Sprichwort als das Vergeblichste alles Vergeblichen bezeichnete: „den Meer¬
strand pflügen", „in den Meersand säen", das geschieht hier wirklich, und
das muß geschehen, wenn der Mensch nicht sich und die Scholle, auf die er
sein Dasein gegründet, ununterbrochen gefährdet sehen will. Allerdings gilt
es dabei immer ein Aufgebot aller Geduld und alles Scharfsinns, und oft
mißlingen wiederholte Versuche, zumal selbst feuchtere Dünen nicht leicht
eine vollständige Besamung gestatten. Wo es dagegen gelingt, den Dünen¬
strand völlig zu dämpfen, und der Seewind nicht seine ganze Stärke übt,
da machen jene ersteren, den Sand bindenden und bereitenden Halme bald
einem reicheren, kräftigeren Pflanzenwuchse Platz: es kommen Ginster, Wach-