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Der Damm verschwindet, die Welle braust,
Eine Meereswoge, sie schwankt und saust.
Schön Suschen schreitet gewohnten Steg,
Umströmt auch, gleitet sie nicht vom Weg,
Erreicht den Bühl und die Nachbarin —
Doch der und den Kindern kein Gewinn!
Der Damm verschwand, ein Meer erbraust's,
Den kleinen Hügel im Kreis umsaust's.
Da gähnet und wirbelt der schäumende Schlund,
Und ziehet die Frau mit den Kindern zu Grund;
Das Horn der Ziege faßt das ein';
So sollten sie alle verloren sein!
Schön Suschen steht noch strack und gut:
Wer rettet das junge, das edelste Blut?
Schön Suschen steht noch wie ein Stern;
Doch alle Werber sind alle fern.
Rings um sie her ist Wasserbahn,
Kein Schifflein schwimmt zu ihr heran.
Noch einmal blickt sie zum Himmel hinauf,
Da nehmen die schmeichelnden Fluten sie auf.
Kein Damm, kein Feld! Nur hier und dort
Bezeichnet ein Baum, ein Thurm den Ort.
Bedeckt ist alles mit Wasserschwall;
Doch Suschens Bild schwebt überall.
Das Wasser sinkt, das Land erscheint,
Und überall wird Schön Suschen beweint.
Und dem sei, wer's nicht singt und sagt,
Im Leben und Tod nicht nachgefragt.
Goethe.
140. die Flüchtende.
In dem nächtlich stillen Hause Anders ist's im Mutterherzen!
Sitzt die Mutter gramerfüllt, Ach, da ist der Friede fern,
vhört nicht auf das Sturmgebrause, Und die heftigsten der Schmerzen
Auf die Flut, die donnernd schwillt. Wühlen an des Lebens Kern.
Denn ihr Kindlein ist geschieden,
Liegt vor ihr so bleich und kalt;
Ach, welch süßer, sel'ger Frieden
Sich auf seinem Antlitz malt!
Nicht vernimmt sie, daß mit Brausen
Aus den Ufern trat der Fluß
Und ums Haus mit Todesgrausen
Heulet den Vernichtungsgruß.
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