Full text: [Teil 5 = Obertertia, [Schülerband]] (Teil 5 = Obertertia, [Schülerband])

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neu Häuschens des Säcklers Schölkopf, in dem die Mutter mit ihrem da¬ 
mals zwei Jahre alten Töchterchen Lhristophine zur Miete wohnte, wäh¬ 
rend der Vater zu dieser Zeit draußen im Württembergischen Lager dem 
rauhen Kriegsdienste oblag. Dieses Zimmerchen mit nur einem Fenster 
bildete nebst der anstoßenden rußgeschwärzten Küche die ganze Wohnung 
der Familie — welch ein Gegensatz zu dem vornehmen, überall Wohl¬ 
stand und Sorgenlosigkeit verratenden Frankfurter Bürgerhaus, in dem 
Goethe das Licht der Welt erblickt hat! „Wie leicht ward sein Genie von sei¬ 
nem Schicksal getragen, und wie muß ich bis auf diese Minute noch kämp¬ 
fen!" hat Schiller dreißig Jahre später einmal im Hinblick auf diesen Ge¬ 
gensatz geschrieben. Aber eben indem unsern Dichter frühzeitig das Leben 
so ernst mit so rauher Hand angefaßt hat, hat es ihn zum willensstarken 
Charakter gebildet, als der er uns so groß erscheint in seinem Leben wie in 
seinem Dichten. 
1!. Schillers erste Begegnung mit Goethe (1779). 
Die Bnstalt, in die Schiller 1773 eintrat und der er anfangs als Jurist, 
dann als Mediziner angehörte, nahm unter den Schulen jener Zeit eine 
eigenartige Stellung ein. Ihre Angehörigen konnten nämlich von den Cle- 
mentarfächern an bis hinauf zum akademischen Studium ihre volle Aus¬ 
bildung erhalten. Sie war vom Herzog Karl Lugen im Jahre 1770 auf 
deni etwa zwei Stunden von Stuttgart entfernten Schlosse Solitude er¬ 
richtet und wurde 1775 nach Stuttgart verlegt. 
Den Höhepunkt des sonst gleichmäßig und einförmig verlaufenden Schul¬ 
jahres bildete—abgesehen von vereinzelten Cheateraufführungen der Eleven 
an des Herzogs Geburtstag oder bei hohem Besuch — der mit großer Feier¬ 
lichkeit begangene Stiftungstag, der 14. Dezember, an dem nach vorheri¬ 
gen öffentlichen Prüfungen die von dem Herzog persönlich vorgenommene 
Preisverteilung erfolgte. Wer von den Kavalierssöhnen prämiiert wurde, 
durfte dem Herzog die Hand küssen. Den bürgerlichen Preisträgern wurde 
nur der Bockflügel des hohen Herrn zum Kusse dargeboten. Wer vier Preise 
bekam, erhielt den kleinen akademischen Grden, ein goldenes Kreuz, und 
zugleich den Bang eines Chevaliers,' mit acht preisen war das Großkreuz 
mit Stern und der Titel Grand-Chevalier verbunden. Ein Professor hielt 
bei diesem Akte die Festrede. Die Eleven mußten während der ganzen 
Feierlichkeit in Keih und Glied stramm stehen. Schiller hat während seiner 
Akademiezeit drei Preise erhalten, 1773 den ersten in der griechischen 
Sprache und 1779 je einen in der praktischen Medizin und in der Chirurgie. 
Als der junge Mediziner die beiden letzteren Prämien aus der Hand des Her¬ 
zogs erhielt, war unter all den glänzenden Ehrengästen, die dem Festakte 
beiwohnten, ein Mann, dessen Anwesenheit in der Akademie die Herzen
	        
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