Tauben auf dem Dache zogen das Köpfchen unter dem Flügel her¬
vor, sahen umher und flogen ins Feld; die Fliegen an den Wän¬
den krochen weiter; das Feuer in der Küche erhob sich, flackerte
und kochte das Essen, und der Braten brutzelte fort; der Koch gab
dem Jungen eine Ohrfeige, daß er schrie, und die Magd rupfte
das Huhn fertig. Und da wurde die Hochzeit des Königssohnes
mit dem Dornröschen in aller Pracht gefeiert, und sie lebten ver¬
gnügt bis an ihr Ende.
93. Die Kinder im Walde.
(Houwald.)
Gar wohlgemuth und guter Ding'
Zu Wald einKnab' und Magdlein ging.
Der Tag war draußen heiß und schwül,
Der Wald hingegen frisch und kühl.
Hier liefen sie die Kreuz und Quer
Und pflückten Erd- und Heidelbeer'. —
Bald rief der Bruder: „Schwester, hier,
Die schönsten Beeren stehn bei mir!"
Bald sprach die Schwester: „Bruder,
nein,
Hier werden noch viel schön're sein."
Zum Bruder springt die Schwester
drauf,
Ißt dort die schönsten Beeren auf,
Und mit ihr muß der Bruder gehn,
Wo ihrer noch viel schön're stehn.
So stopfen sie die Beerelein
Fortan mit vollen Händen ein,
Bis jedes zu dem andern spricht:
„'s ist nun genug, mehr kann ich nicht!"
Und bis der kleine Bauch so schwer.
Daß fast ein Reif drum nöthig wär'.
Sie setzen sich an einen Baum,
Sie sprechen nichts, sie athmen kaum,
Und eins sich an das andre lehnt,
Und eines nach dem andern gähnt,
Bis daß der süße Schlaf sie leicht
Im kühlen Schatten überschleicht.
Und nah' bei ihrer Schlummerstalt
Ein Häsleiii seine Jungen hat.
Die hüpfen aus dem Strauch heran
Und sehen sich die Kinder an
Und spielen um das kleine Paar
Und fühlen mit den Pfötchen gar
In stiller Lust und ohne Scheu,
Wie warm das rothe Bäckchen sei.
Und nah', wo Kuab' und Mägdlein
ruht,
Hat auch ein Zeisig seine Brut,
Die lauschet auch zum Nest hinaus
Und breitet ihre Flüglein aus
Und sieht, wie sich die Häslein klein
Dort um die holden Kinder freun.
Da wagt sie sich in froher Hast
Auch bald hinab von Ast zu Ast
Und setzet sich in stiller Lust
Den Kindern gar auf Stirn und Brust.
Und wo der warme Athem weht.
Da wird das Köpfchen hingedreht.
Und Zeisig spricht: „Sagt uns geschwind,
Was das für liebe Thierchen sind!
Wir glauben, es sind Böglein; doch
Die Federn wachsen ihnen noch."
Die Häschen aber sprechen: „Nein,
Wo sollen Klau' und Schnabel sein?
Die Lippen sind zu roth und weich,
Nein, sie gehören nicht zu euch.
Biel eher könnten's Häschen sein,
Sind auch die Ohren etwas klein."
Und Zeisig hebt sein Köpfchen drauf
Und ruft und singt: „Wacht auf,
wacht auf!
Ihr seid so wunderhold und schön,
Ihr müßt uns, wer ihr seid, gestehn:
Wir wolln in Lieb und in Vertraun
Euch in die offnen Augen schaun."
Und Häschen klopft auf Hand und Wang
Und ruft: „Wacht aus, schlaft nicht so
laug!
Wir haben noch der Brüder viel,
Kommt mit, kommt mit zum frohen
Spiel!