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2. Die mitleidslos das Meergeraubt
Und die das Meer gab wieder,
Hier legten sie ihr bleiches Haupt
Von Wellen triefend nieder.
Schiffbrüchige — man kennt sie nicht,
Ob Schiffsherrn, ob Matrosen,
Nun träumen von der Heimat Licht
Die armen Heimatlosen.
3. Du Fremdling mit dem
ffücht'gen Sinn,
Zieh lachend nicht von hinnen,
Auf dein Woher, auf betn Wohin
Sollst du dich hier besinnen.
Noch eh der Abend niedersinkt,
Zerflattert Ruh und Rose.
Weh dem, dem nicht beim Scheiden
winkt
Heimat für Heimatlose.
4. Du andrer Gast mit müdem
Fuß,
Voll Schwermut und voll Sorgen,
Denk' nicht bei diesem Kirchhofsgruß:
„Hier wär' ich wohlgeborgen!
Was treib' ich noch von Ort zu Ort,
Ein Blatt im Sturmgetose?"
Ist wirklich Tod ein Ruheport,
Heimat für Heimatlose?
5. Wir sind ein Volk, vom Strom
der Zeit
Gespült zum Erdeneiland,
Voll Unfall und voll Herzeleid,
Bis heim uns holt der Heiland.
Das Vaterhaus ist immer nah,
Wie wechselnd auch die Lose:
Es ist das Kreuz von Golgatha
Heimat für Heimatlose.
72. Sunt neuen Jahr.
Eduard Mörike.
1. Wie heimlicher Weise
Ein Engelein leise
Mit rosigen Füßen
Die Erde betritt,
So nahte der Morgen.
Jauchzt ihm, ihr Frommen,
Ein heilig Willkommen!
Ein heilig Willkommen,
Herz, jauchze du mit!
2. In Ihm sei's begonnen,
Der Monde und Sonnen
An blstueit Gezelten
Des Himmels bewegt.
Du, Vater, du rate!
Lenke du und wende!
Herr, dir in die Hände
Sei Anfang und Ende,
Sei alles gelegt!
73. Sonntagsfrühe.
Max v. Schenkendorf.
1. Gottesstille, Sonntagsfrühe,
Ruhe, die der Herr gebot!
Meine Seele, wach und glühe
Mit im hellen Morgenrot!
2. Könnt' ich in dem Zimmer-
bleiben,
Wann das Volk zur Kirche wallt?
Könnt' ich Alltagswerke treiben,
Wann der Glockenruf erschallt?
3. Wo die holden Worte weilen,
Die der Herr auf Erden sprach,
Lasset auch das Brot mich teilen,
Das er seinen Jüngern brach!
4. O, das nenn' ich sel'ge
Stunde,
Wo man dein, o Herr, gedenkt,
Wo man mit der frohen Kunde
Von dem ew'gen Heil uns tränkt!